Francesco Carotta zu Gary Courtney


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25.01.2002

Christus ein Mythos?

Zu: Gary Courtney, «Et tu, Judas? Then fall Jesus»
Australia 1992 – ISBN 0 646 087333 9

[for the English translation of this short review cf. forum]


F. C.

Inzwischen ist das Buch von Gary Courtney – «Et tu, Judas? Then fall Jesus!» – eingetroffen, zusammen mit der Kassette eines Radiointerviews. Ich habe jetzt beides gelesen, das Buch teils durch teils quer.
Diese will keine echte Rezension sein. Nur einige Worte, zur Klarstellung. Es gab nämlich einige Irritationen unter den Lesern, denn während einige positiv zu diesem Buch stehen und sich freuen, daß es jemanden anderen gibt, der einen Bezug zwischen Jesus und Caesar gesehen hat, urteilen andere ganz negativ, meinend, bei Courtney stehe nichts, was nicht woanders besser schon gesagt worden wäre, während sein eigener Beitrag zurück in die mythologische Schule führe.
Diesen letzten kann man erwidern, daß es sicherlich unfair wäre, ein Buch von 1992 aus der Sicht von heute, nach den inzwischen gewonnenen Erkenntnissen, zu beurteilen. Andererseits kann man deswegen auch nicht beide Augen zudrücken, sonst würde man den Lesern, und nicht zuletzt dem Autor selbst, einen Bärendienst erweisen. So äußern wir uns doch kurz dazu, einleitend, und bitten jene, die Courtneys Buch und Interview gelesen haben, es ihrerseits zu tun.

Man freut sich zuerst, daß der Autor klar erkannt hat, daß der Passionsbericht in den Evangelien von jenem der Tötung Caesars herrührt. Um dies zu erklären postuliert er, daß jüdische Schreiber letzteren abgekupfert hätten, um jener des vergöttlichten Caesar die Geschichte eines jüdischen Messias entgegenzuhalten. Als Vorlage hätten sie ein Drama benutzt, dessen Existenz zwar nicht erwiesen ist, die aber Stefan Weinstock in seinem "Divus Julius" (Oxford 1971) vermutet hat. Danach hätten sie diesen ursprünglich römischen, jüdisch umgeschriebenen Kernmythos mit der reellen jüdischen Geschichte von Petrus, Jakobus, etc. verwoben. Und so sei das Evangelium entstanden.

Diese Position liefert natürlich der Kritik eine offene Flanke, und der Theologe Terry Lane hat im erwähnten Radiointerview sich nicht lange bitten lassen: Wenn Jesus erfunden sei, dann seien auch alle anderen Personen erfunden – sagt er –; erkennt aber der Autor die historische Existenz der Randpersonen, etwa des Petrus und des Jakobus, an, wie kann er dann gerade für Jesus, die Kernperson, Nicht-Existenz postulieren? Und – fügt er hinzu – wenn der Ursprung ein Drama "Julius Caesar" sein sollte, und Jesus mythologisch sei, wird dadurch mit jener Jesu nicht auch die Gestalt Caesars genauso mythologisch?
Darauf weiß der Autor nur zu antworten, daß die Gestalt Caesars historisch nicht anzuzweifeln sei – merkt aber nicht, daß er dieser Hypothese selbst Vorschub geleistet hat. Denn nämlich, wozu braucht man ein Drama "Julius Caesar" in die Welt zu setzen? Hatte nicht Antonius die Beisetzung Caesars bewußt wie eine klassische Tragödie inszeniert? Wenn also die Caesarianer Jahr für Jahr zur selben Zeit jene dramatische Beisetzung ihres Divus Julius liturgisch begangen haben, wie sollte diese Liturgie denn aussehen, wenn nicht wie ein Drama?
Die Hypothese der Erfindung eines Dramas über das Drama hat also keine intrinsische Notwendigkeit, denn alles läßt sich auch ohne und besser erklären. Sie macht aber Sinn wenn man retten will a) daß Jesus nie existiert hat, und b) daß das Evangelium einen jüdischen Ursprung hat.
Womit uns eine weitere Variante des Axioms der radikalen anti- und pseudochristlichen Leben-Jesu-Forschung geliefert wird: "Jesus hat vielleicht nie existiert, aber er war sicherlich ein Jude", was jetzt bei Courtney wird: "Jesus ist ein römischer Mythos, aber von Juden erfunden".

Um dies zu erreichen muß er natürlich die spärlichen Texte aus dem Ende des ersten Jahrhunderts (Flavius Josephus und Sueton), die einen Kontakt zwischen Caesar und den Juden belegen, emphatisieren und rückwärts auf die Zeit Caesars zurückprojizieren.
Dies gelingt ihm umso unauffälliger, als er den Leser bereits hinlänglich an Ungenauigkeiten gewöhnt hat: Da hatte zum Beispiel Marius nicht gegen die Germanen gekämpft (Cimbern und Teutonen), sondern gegen die Gallier, und der Verräter Caesars, Decimus Junius Brutus, war mit Marcus Junius Brutus, dem Mörder, vermengt worden (was sich auch im ungenauen Titel des Buches niederschlägt, wo es korrekt hätte heißen sollen: «Et tu, Barabbas? Then fall Jesus!»).
Alle andere Ungenauigkeiten wollen wir lieber verschweigen, denn es wäre ungerecht, sie einem Autor vorzuhalten, der nicht vom Fach ist und anscheinend weder Latein noch Griechisch kann. Er war darauf angewiesen, mit Übersetzungen und Sekundärliteratur zu arbeiten. Man muß ihm zugute halten, daß er wenigstens das wichtigste aufrechterhalten hat: Daß die Passionsgeschichte Jesu von jener Caesars abhängig ist. Daß er dann nicht erklären konnte, wie sie zusammenhängen und wie es dazu kam, kann man ihm genau so wenig vorwerfen, wie etwa dem Ethelbert Stauffer, der dies bereits 1957 gesehen hatte [s. da.], jedoch meinte, es käme daher, weil beide Berichte auf (nicht näher definierte) orientalischen Muster zurückgingen.

Ja, man verzichtet lieber auf den historischen Jesus, als daß man zugibt, daß er kein Jude war. Es geht da nämlich um die Wurst, besser gesagt, um das dazugehörige Linsengericht, um das Erstgeburtsrecht: Gary Courtney hat vesucht, es für die Juden zu retten. Bei ihm ist Jesus kein Jude, aber wenigstens eine Erfindung der Juden. Sein persönlicher Mythos. So gesehen stimmt der Titel seiner WebSite wieder - "Christ a myth" –: Es ist mitunter sein Mythos, daß Christus ein Mythos sei.

Nun, man könnte uns vorwerfen, wir hätten auch nichts anderes gesagt.
Dem ist nicht so. Die aufmerksamen Leser werden bemerkt haben, daß wir zu dem Ergebnis kommen, daß:
a) Jesus der historisch tradierte Divus Julius ist;
b) demnach es einerlei sei, zu sagen: Jesus hat nie existiert, existiert hat Julius Caesar; oder umgekehrt: Jesus hat existiert, er hieß zu Lebzeiten Caius Julius Caesar, danach Divus Julius.

Diese ist keine Haarspalterei, denn daraus läßt sich etwas ganz anderes folgern.
Ein eventueller Kultor des Divus Julius muß nämlich demnach nicht unbedingt im Zuge der plötzlich eingetretenen Aufklärung den Mythos verwerfen, und mit ihm die ganze Geschichte von Christentum und Islam, und so rein aber geschichtslos dastehen, sondern kann die historisch tradierten Formen des Divus Julius Kultes an sich akzeptieren, und nur die Verfälschungen verwerfen. Er muß aber nicht mit dem schmutzigen Badewasser auch das Kind ausschütten. Der Unterschied ist nicht gering.
Auch für einen radikalen Atheisten macht es einen Unterschied. Ist Jesus ein Mythos, ist es für ihn zwar scheinbar besser, denn er kann sich einbilden, ihn als Phantom einfacher aus der Welt zu jagen. Steckt dahinter aber eine historische Gestalt, und zwar die des "größten unter den Sterblichen", dann wird es für ihn fatal, denn das angebliche Phantom kann nach wie vor weiter in dieser Welt wirken, wo sein gewaltiger Impuls noch zu spüren und nicht ausgeschöpft ist. Es ist also auch für den Atheisten besser, er weiß warum er bis jetzt mit jenem angeblichen Phantom nicht fertig werden konnte, der wie ein ewiger Wiederkehrer sich ständig aus dem Nichts zurückmeldet, in das er geworfen wird: Wir sehen uns in Philippi wieder!

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