Gießener Anzeiger – Klemens Hogen-Ostlender


[ redi ad Echo ]


Gießener Anzeiger, 23.12.1999

Für Sie gelesen …

Weihnachten ungültig und Jesus nur erfunden?
Nach Francesco Carottas These war der Gründer der christlichen Religion in Wahrheit ein Abbild von Gaius Julius Caesar

KLEMENS HOGEN-OSTLENDER

Im Titel läßt der Autor noch Vorsicht walten. „War Jesus Caesar?“ Der Untertitzel verdichtet die Frage zur Behauptung: „2000 Jahre Anbetung einer Kopie“. Der Verfasser zieht Parallelen zwischen Jesus von Nazareth, dem Religionsgründer, und Gaius Julius Caesar, dem Römer, der allen folgenden Kaisern den Namen gab. Und er kommt zum Schluss: Caesar war eine historische Persönlichkeit, Jesus dagegen hat so wenig existiert wie Wilhelm Tell. Eine These, die sicher nicht zufällig kurz vor dem Ende des zweiten Jahrtausends „nach Christus“ publiziert wird – eine These, die, in aller Ernsthaftigkeit, noch weit hinausgeht über die jüngst erschienene flapsige Schlagzeile aus Titanic: „Reformation ungültig: Luther war gedopt“. Francesco Carottas Werk lässt sich auf diesen Satz reduzieren: „Weihnachten ungültig: Jesus wurde erfunden“.
Wie kam der ehemalige Zögling eines Priesterseminars, Sohn eines Atheisten und einer gläubigen Mutter, Industrietechniker und Philosoph, Leiter einer Informatik-Firma und eines Buchverlags, um Himmels Willen auf diese Idee? Sein Damaskus erlebte Carotta als Computer-geplagter, Desktop-Publishing-genervter Mensch, der die Stirn runzelte, wenn ein Übersetzungsprogramm aus „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ im englischen das Äquivalent von „Der Whisky ist serviert, aber das Steak ist roh“ machte. Waren nicht auch die Evangelien, einziger Hinweis auf die Existenz Jesu, immer wieder übersetzte und „verschlimmbesserte“ Texte? Carotta stöberte in Quellenmaterial aus dem Umfeld des römischen Feldherrn und aus jenem Jesu und fand Übereinstimmungen. Gallia und Galilaea, Corfinium, wo Caesar den Rubicon überschritt, und Kapharnaum, wo Jesus Wunder wirkte etwa. Andere Duplizitäten entdeckte er in den Lebensläufen von Cleopatra und Maria Magdalena, von Nikomedes und Nikodemus, von Lepidus und Pilatus. Mögen Sprachwissenschaftler darüber auch ihr weises Haupt schütteln; Carotta hält ihnen entgegen, dass die Schichten, in denen sich in den ersten Jahrhunderten das Christentum entwickelte und in denen Überlieferungen verballhornt wurden, eben nicht Sprachwissenschaft studiert hatten.
Dass sich in den Qumran-Rollen kein Wort von Jesus, kein Hinweis auf neutestamentarische Werte wie Feindesliebe und keine Gleichnisse finden, ist für den Autor ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Evangelien nicht auf Jesus gründen, sondern auf die Verehrung des wenige Jahrzehnte vor der Zeitenwende gestorbenen Caesar, der Jesus von Divus-Julius-Priestern übergestülpt wurde. Dass sich in Galilaea keine abgesicherten Quellen für die Existenz Jesu finden ließen, hat für Carotta zwei mögliche Ursachen: Jesus hat nie gelebt – oder er hat woanders gelebt. Dieses Woanders aber glaubt der Autor in Rom gefunden zu haben.
Jesus wurde nach Erkenntnissen der Wissenschaft nicht im Jahr Eins geboren, sondern ein paar Jährchen „vor Christi Geburt“. Dass dem Mönch Dionysius Exiguus, der gegen 545 starb und unsere Zeitrechnung erfand, bei der Rückrechnung ein solcher Fehler unterlief, hat für Carotta folgende Ursache: Nach Exiguus’ Zählung wurde Caesar exakt 100 Jahre vor Christus geboren. Die Priester des vergöttlichten Kaisers aber führten eigene Kalender. Ihnen sei eine Verschiebung um ein glattes Jahrhundert viel leichter unterzujubeln gewesen als um vier oder fünf Jahre, meint der Autor, hatten für sie und ihre Strichlisten doch die letzten beiden Ziffern einer Jahreszahl viel mehr Bedeutung als die langfristige Nummerierung der Jahrhunderte.
Ob Jesus nun wirklich Caesar war und Weihnachten damit tatsächlich ungültig ist, das wird eine Glaubensfrage bleiben.
Aus dem Fehlen historisch verbürgter Lebensbeweise kann genauso wenig mit Sicherheit abgeleitet werden, dass Jesus nie gelebt hat, wie aus der Nichtentdeckung jeglicher Telefonleitungen bei Ausgrabungen in Rom darauf, dass Caesar schon die drahtlose Kommunikation gekannt hätte. Selbst wenn die These Carottas eines fernen Tages aber bewiesen würde, würde das der Kirche kaum den Garaus machen. Schließlich war die Konstantinische Schenkung seit langem als Fälschung entlarvt – aber den Kirchenstaat gab es noch Jahrhunderte lang, und es gibt ihn, wenn auch in stark reduzierter Form, noch heute.

—————————

NOTA BENE: Der Rezensent dieser sehr intelligenten Besprechung hat sich leider zum Schluß im argumentum e silentio etwas vergaloppiert. So wird der aufmerksame Leser sofort erkannt haben, daß tatsächlich «aus der Nichtentdeckung jeglicher Telefonleitungen bei Ausgrabungen in Rom» durchaus darauf abgeleitet werden kann, «dass Caesar schon die drahtlose Kommunikation gekannt hatte». Denn ein Reich wie das Römische konnte sich ja ohne funktionierende Kommunikation überhaupt nicht halten, geschweige denn entstehen. Nur daß jene «drahtlose Kommunikation» anders aussah, als wir uns heute vorstellen, Funk, Handy etc. Sie bestand bekanntlich, wie bei allen Reichen der Antike aus Post (Läufer-, Wagen-, Reiter-, Boote- und Schiffstafetten), Brieftauben, sowie Feuer- und Rauchsignalen. Hinzu kamen Caesars persönliche Erfindungen, der kodierte Text und der Schlafwagen, den er einführte, um auch im Schlaf nicht untätig zu bleiben. Somit hat uns der Rezensent hier ein Beispiel geliefert, wie einfach es ist, verfangen in unserer Zeit und unseren gewohnten Bildern, das Elementarste zu übersehen.

Das argumentum e silentio kann durchaus im Gericht als ungültig gelten, denn die Tatsache, daß ein Zeuge etwas nicht gesehen hat, muß nicht bedeuten, daß dies nicht passiert ist: Er kann es ja übersehen haben.
Das kann aber unmöglich für öffentliche Ereignisse und öffentliche Persönlichkeiten gelten. Wenn etwa Robespierre in keinem Geschichtsbuch vorkommen würde, bei keinem Historiker, so hätte es keinen Robespierre gegeben. Und wenn es ihn trotzdem gegeben hätte, dann wäre er nicht unser Robespierre gewesen, sondern irgendein nobody, der irgendwas getan hätte.
Und es kann geanuso wenig bei literarischen Gestalten gelten. So hat man bei einem Dracula nur zwei Möglichkeiten: Entweder wurde die Gestalt etwa von Bram Stoker (hieß er so?) erfunden, oder aber er war in Wahrheit jener Fürst, der in der rumänischen Geschichte als Vlad Tepes Draculea einging. So ist es auch mit Jesus. Beharrt man darauf, ihn im Galilaea/Judaea zu lokalisieren, so macht man aus ihm entweder niemanden (bloß Legenden und Mythen) oder einen Nobody (irgendeinen Barfußpropheten): Jene wichtige Persönlichkeit, die das jüdische Synhedrion und die römische Autorität zugleich erschütterte, und der Christus, der Gottesohn, der über seinen Tod hinaus triumphierende Gründer einer schlagartig entstandenen Weltreligion, ist er nie und wird er nie: Es reicht einfach nicht, er hat nie das Gewicht. Man lese Couchoud wieder. Alles andere ist Selbstbeschwichtigung.



[ Ihre Meinung dazu können Sie im Forum äußern: ]

[ forum ]

[ mehr wissen ]