Efodon Synesis – Gernot L. Geise


[ redi ad Echo ]


Efodon, Synesis, Nr. 5/2000, S. 53

Francesco Carotta: „War Jesus Caesar?“

für Sie gelesen

GERNOT L. GEISE

War Jesus Caesar? Schon die Frage lässt den mehr oder weniger christlich erzogenen Menschen zusammenzucken. Wie kann die Hauptfigur der christlichen Religion nur in Frage gestellt werden – und schon gar mit Julius Caesar verglichen werden, dem „römischen“ Feldherren, der seinerzeit fast ganz Europa und mehr mit seinen Legionen unterjocht hat?
Nein, das kann doch nicht sein! Das sind doch zwei ganz verschiedenen Themen! Doch wenn man ehrlich zu sich ist, so muss man einräumen, dass die Figur des Jesus nur aus der Bibel, genauer: aus dem Neuen Testament, bekannt ist. Historisch lässt sie sich bis heute nicht nachweisen. Jesus hat nur in der Bibel gelebt, er ist also eine Phantasiefigur, auch wenn wir heute noch an ihn glauben.
Und Caesar? Der hat doch so gar nichts „Göttliches“ an sich? Was hat der denn mit „Jesus von Nazareth“ zu tun?
Also wird man doch neugierig, was der Autor dazu zu sagen hat, und wie er auf eine solche Gleichstellung kommt. Und je mehr man sich in das Buch vertieft, um so mehr Zweifel kommen an der Richtigkeit der Bibelaussagen auf.
Grundsätzlich stellt Carotta fest, dass Jesus eine Person ohne historischen Nachweis ist, die eine Religionsbewegung erzeugt hat. Caesar hingegen ist eine Figur der Geschichte, gut dokumentiert nachweisbar, die nach ihrem Tod zum höchsten (!) Gott erhoben wurde, und der trotzt dieser übermächtigen Stellung keinerlei Religionsbewegung folgte. Allein diese Tatsache widerspricht allen Gottvorstellungen. Wo ist die Religion des Gottes Gaius Julius Caesar geblieben?
Carotta nahm sich nun das Neue Testament vor und begann, die darin geschilderten Taten Jesu mit den Überlieferungen des Caesar zu verlgeichen. Es ist verblüffend, wenn man verschiedene Passagen nebeneinander gestellt sieht und feststellen muss, dass sie identisch sind!
Die Schreiber des Neuen Testaments schilderten nicht etwa das Leben Jesu (in der Bibel sind eh nur ein paar Tage aus seinem Leben enthalten), sondern übersetzten die Taten des Julius Caesar, allerdings falsch, weil sie offensichtlich des Griechischen und Lateinischen nicht (mehr?) sehr mächtig waren.
Carotta geht minutiös vor, von Detail zu Detail, und vergleicht Jesus mit Caesar. Von der Dornenkrone angefangen, die keine war, sondern eine Falschübersetzung des Graskranzes Caesars, über „Christus“, einen der Beinamen Caesars (andere waren Soter, Retter, Heiland, usw.). Wobei das griechische Wort „chrêstos“ irgendwan zu „christos“ wurde, was zu damaliger Zeit auf (fast) jedem Grabstein auftauchte und „Guter“ heißt.
Die Aktionen Caesars in Gallien wurden zu Galiläa, Ionia zu Judäa usw. Carotta stellt beide Versionen gegenüber und vergleicht meist über das Griechische. Dadurch wird die Ähnlichkeit auffallend. Die Inschriften auf den ersten Kultstatuen Caesars in Ionien würden christlich interpretiert so lauten:
„Dem Jesus Menschesohn Nazarener, dem Christus und Allmächtigen, [Pantokrator], Gottesohn und fleischgewordenen Gott, gnädigen Herr und Heiland aller Menschen…“
So weit mögen Parallelen bestehen, doch die christliche Religion hat ja als wichtigsten Punkt die Kreuzigung Jesu vorzuweisen, während Caesar durch Dolchstiche ermordet wurde. Glauben wir, weil wir immer nur (Falsch-) Übersetzungen von (Falsch-) Übersetzungen kennen.
Betrachtet man diesen Punkt jedoch genauer, so stürzt fast das ganze Weltbild ein, weil nichts von dem stimmt, was wir einst gelernt haben. Bereits in jedem der vier Evangelien wird die Kreuzigung anders beschrieben. Es ist keinesfalls die Beschreibung desselben Vorganges!
Die Inschrift am Kopf Jesu lautete nach Markus „König der Juden“. Bei Caesar heißt sie „Imperator Iulius“. Beide sind im Griechischen verwechselbar.
In den Evangelien ist merkwürdigerweise niemals vom „Kreuz“ die Rede, sondern immer nur vom Akt des Kreuzigens. Und schaut sich das Verb „stauroô“ genauer an, so fällt es auf, dass es gar kein „kreuzigen“, sondern „Pfähle aufstellen“ (oder Latten, Palisade, Lattenzaun aufstellen) bedeutet. Erst die Christen haben das Wort als „Pfahl aufstellen“ gebraucht. Dann wurde der Pfahl als Marterpfahl gedeutet, und in der Folge als Kreuz. Aus „Pfähle und Latten aufstellen“ wurde so „an das Kreuz heben“, und aus dem „heben“ wurde „schlagen“.
Ich möchte hier nicht weiter in die Details gehen, nur noch den Vergleich zu Caesar:
Im „Römischen Reich“ war es allgemein üblich, neben einem aufgebahrten Verstorbenen ein sogenanntes Tropaeum aufzustellen, das ist ein Holzkreuz (!). An dieses Tropaeum, wurde das Simulacrum befestigt, eine Lebensgroße Wachsfigur, die den Verstorbenen (hier: Caesar) zeigte und in die Kleidungstücke gehüllt war, in denen er ermordet wurde. Weiterhin hingen hieran Trophäen aus seinen militärischen Siegen (daher die Bezeichnung „Tropaeum“). Im Falle von Caesar konnte also, vom Volk aus gesehen, durchaus der Eindruck entstehen, Caesar sei an ein Kreuz gebunden worden. Und so wurde er auf Münzen auch dargestellt!
Obwohl Carotta sehr mit sprachlichen Vergleichen arbeitet, meist zwischen Lateinisch und Griechisch, muss man kein Sprachwissenschaftler sein, um seine Gedankengängen nachvollziehen zu können.
Mir persönlich ist schon in jungen Jahren aufgefallen, dass die Evangelien keinen „runden“ Text bieten, sondern zusammengestückelten Absätze, die manchmal keinen Zusammenhang zu besitzen scheinen und Einschübe aufweisen, die wiederum mit geschilderten Vorgängen nichts zu tun haben.
Die Erklärung Carottas, dass die Evangelien aus Übersetzungsfehlern resultieren, nehme ich ihm voll ab. Wer schon einmal einen Text aus einer anderen Sprache übersetzt hat, der weiß, wie sehr es darauf ankommt, nicht nur wörtlich, sondern auch sinngemäß richtig zu übersetzen. Je schlechter man die Fremdsprache beherrscht, um so konfuser wird eine Übersetzung. Als Beweis für die Problematik nenne ich nur den lapidaren Satz „Er traf den richtigen Ton“. Wie soll man ihn übersetzen? Im sinne von „Er fand die richtige Klangfarbe“? „Er fand die richtige Redewendung“? „Er fand beim Graben die richtige Lehmsorte“? „Er malte die richtige Farbe“? Traf er im Sinne von „finden“ oder im Sinne von „abschießen“? Sie sehen, wie viele Möglichkeiten sich allein hier bieten. Sie werden natürlich sagen, dass sich der richtige Sinn aus dem Zusammenhang mit den Sätzen davor und dahinter ergibt. Das ist natürlich richtig. Doch wenn der Sinn bereits in den vorhergehenden Sätzen falsch gedeutet wurde? Dann kommt bei einer Übersetzung möglicherweise etwas völlig anderes heraus, als es der Autor verfasste. Und dieser Effekt liegt offensichtlich beim Neuen Testament vor, das – nach Carotta – nichts weiter ist als eine Falschübersetzung der Taten und des Lebens Gaius Julius Caesars.
Für jeden, der sich mit christlicher Religion und/oder Geschichte beschäftigt, ist dieses Buch ein wahres „Muss“, denn selbst wenn Carotta bei dem einen oder anderen Vergleich falsch liegen sollte, trägt die erdrückende Menge der von ihm vorgetragenen Argumente dazu bei, dass die Rollen Jesu und Caesar neu überdacht werden sollten!

—————————

NOTA BENE: Endlich eine Rezension, an der ich nichts auszusetzen habe. Mehr noch: Der Rezensent hat das Problematische beim Übersetzen viel plastischer und überzeugender dargestellt, als ich es tun konnte: Danke.

Es hat sich nur eine Zweideutigkeit eingeschlichen, vermutlich wegen der gerafften Wiedergabe, oder beim Kürzen auf Seitenmaß:

Im „Römischen Reich“ war es allgemein üblich, neben einem aufgebahrten Verstorbenen ein sogenanntes Tropaeum aufzustellen, das ist ein Holzkreuz (!).
Das galt natürlich nur für Feldherren, die in ihrem Leben triumphiert hatten.

An dieses Tropaeum, wurde das Simulacrum befestigt, eine Lebensgroße Wachsfigur, die den Verstorbenen (hier: Caesar) zeigte
Das Simulacrum wurde normalerweise als Wachsstatue aufgestellt, wie bei einem Wachsfigurenkabinett (man hatte damals weder Fotos noch Filme). Nur im Falle Caesars, weil er in vollem Ornat die Tracht der altrömischen Könige hätte tragen müssen und weil seine Mörder noch in der Stadt verweilten und drohten, kam Antonius auf die folgenschwere Idee, darauf zu verzichten und ihn stattdessen so darstellen lassen, wie man ihn nach der Ermordung gesehen hatte, als man die Leiche nach Hause getragen hatte: durchstochen, blutüberströmt, mit ausgebreiteten Armen. Dieses Simulacrum befestigte man entweder am Tropäum selbst, dort wo die Rüstung und die Waffen des Vercingetorix angebracht waren (oder hätten sollen) und wo seine blutbefleckte Toga hing, oder aber an einer zweiten tropäumähnlichen Vorrichtung. Jedenfalls wurde das Wachssimulacrum aufgerichtet und gedreht, damit es im Kreis gesehen werden konnte. Der Anblick des am Kreuz gehefteten Caesar bewirkte dann die Empörung des Volkes.

und in die Kleidungstücke gehüllt war, in denen er ermordet wurde. Weiterhin hingen hieran Trophäen aus seinen militärischen Siegen (daher die Bezeichnung „Tropaeum“). Im Falle von Caesar konnte also, vom Volk aus gesehen, durchaus der Eindruck entstehen, Caesar sei an ein Kreuz gebunden worden. Und so wurde er auf Münzen auch dargestellt!
Auf Münzen dargestellt wurden schon früher die Siegestropäen Caesars, die kreuzförmig angeordnet wurden. Nach seinem Tod übernahm Octavian die kreuzförmige Darstellungsweise mit oder ohne Tropäum. Einige Jahrhunderte später, nach Konstantin, ersetzte das Kreuz vollständig das Tropäum.

Hinzuzufügen ist noch, daß in diesem Kontext die Verwechselung vom lateinischen cremo, verbrennen, mit dem griechischen kremaô, kreuzigen, die Verbrennung von Caesars Leiche zur Kreuzigung werden ließ.


[ Ihre Meinung dazu können Sie im Forum äußern: ]

[ forum ]

[ mehr wissen ]