Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt – Interview


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Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt – Christliche Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur
15.09.2000, Seite 17 „Politik und Wirtschaft“


Buch im Gespräch: Francesco Carotta

«Brot des Künstlers»

Historisches Buch: Warum der Freiburger Autor Jesus für Cäsar hält – und wie er damit lebt, dass er es zwar ernst meint, sein Werk aber nicht ernst genommen wird

Die Fragen stellte MONIKA GOETSCH

[NB: Das ursprünglich für die taz – die es noch bringen will – aufgenommene Interview wurde vom DS „aus Platzgründen“ verkürzt. In eckigen Klammern die Auslassungen]

• Bücher über Jesus füllen ganze Bibliotheken. Und in jeder gibt es eine kleine Ecke, in der die Außenseiter versammelt sind, die Werke jener Menschen, die zur Feder griffen, um „die Wahrheit“ über Jesus zu enthüllen. Dort findet sich immer verbunden mit dem Vorwurf, die Kirche unterdrücke seit 2000 Jahren diese Erkenntnisse Holger Kerstens Werk über „Jesus in Indien“ neben dem Buch der Theologin Barbara Thiering, die verkündet, dass Jesus Maria Magdalena heiratete und vier Kinder zeugte. Aus Freiburg tritt nun Francesco Carotta an, und seine These gab es noch nicht: Jesus, behauptet der in Italien geborene Autor, sei identisch mit Cäsar („War Jesus Cäsar? 2000 Jahre Anbetung einer Kopie. Goldmann, München). Pressespott („Wer war der Osterhase wirklich?“) ficht Carotta, 54, nicht an. Das Sonntagsblatt sprach mit ihm über seine Motive.

• Herr Carotta, was haben Sie eigentlich gegen Jesus?
Francesco Carotta: Gar nichts. Ich habe nur etwas gegen die sogenannte wissenschaftliche Theologie, die Jesus komplett demontiert hat. Die Leben-Jesu-Forschung ist die Geschichte ihres Scheiterns.

• Das Scheitern des Versuchs, den historischen Jesus zu rekonstruieren?
Carotta: Genau. Die Forschung hat zwei unterschiedliche, gleichermaßen unbefriedigende Antworten hervorgebracht. Zum einen, dass Jesus ein Nobody gewesen sein könnte, einer von vielen anderen, der das Glück hatte, postum berühmt zu werden. Monty Pyton hat ja gezeigt, dass an Erleuchteten und Wunderheilern damals nun wirklich kein Mangel war. Die andere Antwort lautet: Jesus hat nie existiert. Er setzt sich zusammen aus Mythen und Legenden, [denen man nachträglich eine historische Existenz angedichtet hat.] Wir haben also die Wahl zwischen einem Nobody und einem Niemand. Dann ist allerdings nicht zu erklären, warum sich das Christentum so plötzlich mit einer solchen Wucht ausgebreitet hat.

[• Mit Jesus fehlt die Initialzündung.]
Carotta: Wie Nietzsche schon sagte: Man sucht das Streichholz, das die Prärie in Brand gesetzt hat. [Aber Nobody oder Niemand kann nicht das Streichholz gewesen sein.]

• Aber für Sie ist das Streichholz Cäsar. Warum?
Carotta: Anders als die Leben-Jesu-Forschung, die sich nur mit den Evangelien auseinander setzt, habe ich über den Tellerrand geschaut. Cäsar hat mich zunächst nur Hobbyweise beschäftigt. Das Bild, das wir normalerweise von ihm haben, ist das des Feldherren und Diktators. Forscht man aber über die Asterix-Lektüre hinaus, stellt man fest, dass die zeitgenössischen Bilder Cäsars ein ganz anderes Porträt zeichnen: das der clementia, der Milde Cäsars. [Denn Cäsars politisches Programm war ja: „Liebet eure Feinde“. *)] Man sieht auch einen gemarterten Cäsar, das ergreifende Bild eines Mannes, der ebenso gut der gekreuzigte Jesus sein könnte.

• Und doch war Cäsar nun mal römischer Feldherr.
Carotta: Sicher. Aber man muss ihn mit den anderen Herrschern der Antike vergleichen. Alle haben damals Krieg geführt. Aber Cäsar wollte eine neue Strategie einführen. Statt seine Feinde zu verfolgen und ewig Rache zu üben, wollte er Versöhnungspolitik betreiben und seinen Gegnern verzeihen. Weil er ermordet wurde, sagen die einen, seine Versöhnungspolitik sei gescheitert. Die anderen behaupten, er habe postum gesiegt. Genau die selbe Debatte finden wir um das Versöhnungsgebot Jesu.

• Das ist zunächst nicht mehr als eine Parallele. Wie kommen sie darauf, dass [Cäsar und Jesus sich nicht nur ähnlich waren, sondern] Jesus Cäsar gewesen sei?
Carotta: Ich habe auf zeitgenössischen Darstellungen nach weiteren Paralleln gesucht. Und erstaunlicherweise alle Motive des Christentums auch bei Cäsardarstellungen gefunden: die Wiederauferstehung, die Himmelfahrt, das Kreuz, den Heiligenschein, die Mutter Gottes, alles. Also habe ich die Biographien der beiden verglichen. [Das Ergebnis hat mich verblüfft.] Das Evangelium folgt genau dem Schema der Cäsar’schen Biographie.

• Das könnte ein literarisches Muster sein.
Carotta: Aber die Strukturen stimmen absolut überein! Beide kommen sie aus einem Land im Norden, Gallia beziehungsweise Galiläa, überqueren einen fatalen Fluss, betreten eine Stadt, Corfinium oder Cafarnaum genannt. Und während Cäsar den feindlichen Befehlshaber verjagt, der die Stadt besetzt hält, verjagt Jesus den unreinen Geist, von dem ein Mensch besessen ist. Wobei besessen und besetzt ein und dasselbe lateinisches Wort bezeichnet: obsessus. Solche Wort- und Namensähnlichkeiten sind äußerst bemerkenswert.

• Sie glauben an eine fehlerhafte Übertragung der Wörter.
Carotta: Ich denke, die Abweichungen bewegen sich im Rahmen der damals üblichen Kopistenfehler. [Wollte man einen Text duplizieren, musste man ihn von Hand abschreiben – oder man schrieb nach Diktat. So schlichen sich Fehler ein.] Außerdem hat ein Kopist die Tendenz, das für ihn Unverständliche durch Bekanntes zu ersetzen. Gallia war einem Syrer vielleicht kein Begriff, aber dafür Galiläa. Corfinium kennt der Kopist vielleicht nicht. Aber Cafarnaum. Solche Umschreibungen können Fehler sein, aber auch Absicht: Um eine Geschichte dem Leser und Zuhörer näher zu bringen. Das ist wie mit den „Sieben Samurai“, die später als Western verfilmt wurden.

• Das sind doch alles keine Beweise, [höchstens Indizien.]
Carotta: Darum habe ich geschaut, ob die Umschreibungen konsequent durchgeführt wurden. Ob es also bei jeder Cäsar’schen Belagerung im Evangelium einen Besessenen gab. Und tatsächlich: Es war so. [Und man stößt auf weitere Wortähnlichkeiten.] Wichtiger noch sind aber Übereinstimmungen in den Aussprüchen von Cäsar und Jesus.

• Veni, vidi, vici?
Carotta: Zum Beispiel [„veni, vidi, vici“] – ich kam, sah und siegte. Daraus wird bei Jesus: „Ich ging hin und wusch mich und ward sehend“. Denn „ich wusch mich“ und „ich siegte“ sind im Griechischen klanglich und schriftlich zum Verwechseln ähnlich: [enikisa und enipsa.] Auch die anderen Sprüche Cäsars findet man bei Jesus, z.B.: „Wer auf keiner Seite steht, ist auf meiner Seite“. Im Evangelium lautet dieser so: „Wer nicht wider uns ist, ist für uns.“

[• Sie haben also ähnliche Bilder, Biographien, Orte und Sprüche. Aber Jesus wurde gekreuzigt, Cäsar erstochen.
Carotta: Cäsar wurde ermordet, danach fand ein Prozess statt, der die Frage diskutierte, ob Cäsar ein Tyrann war oder nicht. Schließlich wurde Cäsar als Pontifex maximus bestattet. Üblich wäre gewesen, ihn als Wachsstatue in vollem Ornat darzustellen. Stattdessen zeigte man ihn wie er da gelegen hatte, mit seinen Wunden und der blutbefleckten Toga. Und weil liegend es nicht zu sehen gewesen wäre, hing man seine Wachsfigur an ein kreuzförmiges Tropäum auf. Als das Volk das sah, probte es den Aufstand und suchte nach den Mördern. Die Geschichte von Jesus ist ganz ähnlich. Bei seiner Gefangennahme wurden Waffen gezückt. Es gab Verletzte. Während des Prozesses sprach Jesus nicht. Nur einmal sagte er etwas, und zwar „Du sagst es“. Aber das heißt doch nur, dass er selbst nichts gesagt hat. Und das ist sehr auffällig. Jeder politische Gefangene nutzt doch seine Zeit, um zu reden.

• Aber Jesus starb doch erst am Kreuz.
Carotta:
Das finde ich äußerst fragwürdig. Jesus hing dort mit einer Stichwunde unter der Brust. In einem apokryphen Evangelium steht, der Täter heiße Longinus. Longinus hieß aber auch der Mann, der Cäsar den tödlichen Dolchstoß verabreicht hat: Cassius Longinus. Vielleicht wurde ja auch Jesus der Prozess postum gemacht. Und die Kreuzigung war nur die Aufhängung eines wächsernen Simulacrums. Im Koran steht deutlich, dass Jesus nicht gekreuzigt, sondern nur gezeigt worden sei. Auch im Frühchristentum hat man noch nicht von der Kreuzigung gesprochen.]

[Und] wie halten Sie es mit Auferstehung und Himmelfahrt?
Carotta: Um den toten Cäsar spann sich ein Kult, der Kult um Divus Julius. Der Sieg gegen die Cäsarmörder wurde theologisch verstanden als seine Wiederauferstehung. Die Tatsache, dass er zu Gott gemacht wurde, war Cäsars Himmelfahrt. Und aus all dem wurden die Evangelien.

• Nun muss Jesus ja immer wieder herhalten für große Theorien: Für die einen ist er homosexuell, für die anderen ein Frauenheld …
Carotta: Cäsar wurden auch all diese Dinge angedichtet [bzw. nachgesagt]!

• Unterscheidet sich Ihre Lesart denn grundsätzlich von all den anderen?
Carotta: Die anderen sind subjektiv. Sie sagen nur etwas aus über ihre Autoren und sind Ausdruck ihrer Verlegenheit. Weil sich anhand der Evangelien keine Biographie Jesu schreiben lässt. Darum blühen diese Jesusbilder. Jeder bastelt sich seinen eigenen Jesus zusammen.

[• Wenn man Ihrer Theorie glaubt, ist das nicht mehr möglich.
Carotta: Eben! Darum stört meine Theorie so. Das ist wie mit den Hieroglyphen. Als eines Tages die Hieroglyphen entschlüsselt werden konnten, war das eine Katastrophe! Weil in den Salons ganz Europas Hieroglyphendeuter damit beschäftigt waren, die Hieroglyphen allegorisch zu lesen. Sie hatten natürlich viel spannendere Entschlüsselungen zu bieten als die Wirklichkeit. So geht das auch mit Astronomie und Astrologie. Astronomie ist langweilig. Astrologie ist spannend!]

• Wie reagieren gläubige Christen auf Ihre Theorie?
Carotta: Sie gehen nicht darauf ein. Oder sie sagen, sie können damit leben, weil es für ihren Glauben keinen Unterschied macht, wer Jesus wirklich war. Andere sind verstört, weil sie erkannt haben, dass ihr Glauben auch ganz anders aussehen könnte. [Vielleicht macht es die Erinnerung an den historischen Cäsar ja viel leichter, das Prinzip Nächstenliebe umzusetzen. Außerdem könnte man viele Schismenstreitigkeiten ad acta legen und dem Islam wieder näher rücken.]

• Bislang wird Ihre Theorie allerdings nicht besonders ernst genommen.
Carotta: Stimmt. [Es ist nicht anders zu erwarten, verlangt sie doch einen Paradigmawechsel.] Außerdem wittert man Blasphemie. Cäsar war schließlich ein Mensch, der zu Gott gemacht wurde. [Aber ein Gott wird nicht: Er ist, war und wird sein, ewiglich. Ich sage nicht „Jesus war Caesar“, sondern „Jesus ist Divus Julius, so wie er uns überliefert wurde“. Aber wer versteht den Unterschied? **)]. Manche Buchhändler weigern sich darum, das Buch auszustellen. Andere werden von Kunden terrorisiert, die das Buch verurteilen, ohne es gelesen zu haben. [Ein Fernsehredakteur, der das Buch als Dokumentation verfilmen wollte, wurde von der „Religionsabteilung“ daran gehindert.] Es gibt Professoren, die erklärt haben, meine Arbeit sei hervorragend, aber zugleich darum baten, nicht in die Danksagung aufgenommen zu werden.

• Leiden Sie darunter?
Carotta: Ich kann damit leben. Meine Forschungen habe ich aus Neugier betrieben und mir viele Nächte damit um die Ohren geschlagen. Ich habe meine Firma aufgegeben, um das Buch schreiben zu können. [Meine Freude habe ich gehabt, und auch meine Pflicht getan. Was gehen mich jene an, die die Ergebnisse nicht wahr haben wollen?] Natürlich ist Applaus das Brot des Künstlers. [Ich freue mich über alle, die das Buch gut aufnehmen und es als eine Erweiterung ihres Horizonts ansehen. Und es sind langsam schon einige.]

• Und wie geht es für Sie weiter?
Carotta: Ich werde alle meine Thesen in verschiedenen Sprachen ins Internet stellen (www.carotta.de). Außerdem will ich weiter forschen zum Thema. Vielleicht komme ich auch einer Bitte nach, die viele an mich richten und schreibe einen Roman darüber. Aber das wäre dann ja wieder nicht die Wirklichkeit, sondern pure Fiktion.

Die Fragen stellte
Monika Goetsch

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*) NB: Im Interview war, im Zusammenhang mit der Clementia bzw. dem „Liebet eure Feinde“, zur Sprache gekommen, daß Caesar die Akten des Pompeius verbrannt hatte. Das ist nicht aufgenommen worden. Dadurch ist zwar der Duktus flüssiger geblieben, der aktuelle Bezug aber verloren gegangen, vielleicht auch eine gewisse Brisanz (Nazi-, Stasi-, Leuna-, Ex-Jugoslawien- und sonstige Akten). Hier der Passus:
«Die Clementia Caesaris war kein abstraktes wohl- aber nicht ernstgemeintes „Liebet eure Feinde“, sondern ganz konkrete Versöhnungspolitik: Er hatte nicht nur seine erklärten Feinde in Amt und Würde wieder eingesetzt, sondern auch die Akten des Pompeius verbrennen lassen, damit er selbst nicht einmal weiß, wem er allen verziehen hatte. In fremden Akten zu wühlen ist eine leichte Versuchung. Den Besiegten als Kriegsverbrecher darzustellen ist keine Heldentat – und ruft nach Rache: Wie Du heute mir, so ich morgen Dir. Wie bricht man diesen teuflischen Kreis, wie gewinnt man nicht nur den Krieg sondern auch den Frieden? Das ist die Frage, die sich Caesar stellte, und mit der Aufopferung seiner selbst beantwortete: Er verabschiedete seine Leibgarde – und wurde prompt ermordet.»

**) Zwischen dem Menschen, der zu Gott wird, und dem Gott, zu dem er wird, besteht ein ähnliches Verhältnis, wie zwischen der Raupe und dem Schmetterling: Die Raupe wird zum Schmetterling, das weiß man. Aber war der Schmetterling je eine Raupe? Wer glaubt das? So kann man wissen, daß Caesar zu Divus Julius i.e. Jesus wurde. Aber wer wird je glauben, daß Jesus Caesar war?

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