[ redi ad Echo ]
Badische Zeitung, 20.03.2000, Seite 28 "Sachbuch"
Ein Stück Welträtsellösung
"War Jesus Cäsar?" Der Wahl-Freiburger Francesco Carotta arbeitet als Geschichtsbildumwälzer
ALBERT SELLNER
Gegen die akademischen Geisteswissenschaften wird häufig der Vorwurf erhoben, sie verlören sich zunehmend in Spezialstudien nach dem Motto: immer mehr über immer weniger erforschen. In den USA gibt es seit 1956 die Zeitschrift The Journal of Irreproducible Results (Zeitschrift der unwiederholbaren Ergebnisse), um Weitschweifigkeit, obskure Logik und schiere Dummheit in wissenschaftlichen Zeitschriften zu verspotten. Der Wahl-Freiburger Francesco Carotta überbietet derlei Späße mit purem Umfang. Auf 510 Seiten unternimmt er scheinbar den völligen Umsturz aller tradierten Auffassungen über die Entstehung des Christentums mit der verblüffenden These "Jesus war Cäsar". Darauf kam noch keiner und schon deshalb verdient er eine chronistische Würdigung seiner Originalität.
Obwohl er die Leser mit dem ersten Satz ("Am Anfang war der Jokus") einstimmt, führt er im Weiteren doch sein Publikum auf wissenschaftliches Glatteis. Er baut aus allen philologischen, theologischen, historischen Disziplinen eine so beeindruckende Kulisse, dass man sich in einer ernsthaften Forschung zu bewegen meint. Cäsar wurde nach seiner Argumentation schon zu Lebzeiten und erst recht nach seiner Ermordung als Divus Iulius, als Gott, verehrt. Dafür sorgten unter der Führung Marc Antons die zahlreichen Veteranen seiner Feldzüge, die auf die versprochene Belohnung in Form von Landzuweisungen warteten. Augustus, Tiberius und Vespasian pflegten den Kult aus Legitimitätsinteresse und stifteten zahlreiche Tempel. Am eifrigsten wurde Divus Iulius in den Regionen seines ummittelbaren Wirkens verehrt: "Am verwurzelsten war der Kult in Caesarea, Samaria, Galiläa." Dort wurden viele Veteranenkolonien angelegt, in deren Mittelpunkt jeweils der Cäsartempel stand.
Mit dem Aufkommen des Christentums verschwindet der Kult jäh, und der Autor zeigt warum. Für den Kult muß es eine geschriebene Cäsarlegende gegeben haben, die aber nirgends überliefert ist. Dar Autor macht sie der Welt wieder zugänglich: Es sind die Evangelien!
Wie das? Sie sind eigentlich Cäsarromane! Der ursprünglich lateinische Text wurde von den nächsten Kolonistengenerationen, in denen sich Latein nur noch als Lagerjargon oder Kommandosprache erhalten hatte, nicht mehr verstanden und allmählich ins Griechische übersetzt. Die mündlich kursierenden Übersetzungen wurden erst spät verschriftlicht, weshalb wir "mit Flüsterposteffekten und Volksetymologien, Verballhornungen, wackeligen Transliterationen, falschen Übersetzungen, korrupten Kopien, Diktierfehlern" rechnen müssen. So 'erklärt' es sich, warum aus Gallien Galiläa wurde, aus Corfinium, das Cäsar belagert, Kapharnaum, in dem Jesus den Dämon aus einem Besessenen (lat. obsessus = besetzt und besessen) austreibt.
Cäsars berühmtes ?alea iacta est? die Würfel sind gefallen? wird beim Evangelisten entsprechend zu 'Folget mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen!'. Der des Lateinischen kaum mehr mächtige Markus versteht bei 'alea' griechisch 'haleeis', also: 'Fischer sei geworfen' und formuliert angesichts solchen Unsinns das Jesuswort zu einer plausibleren Aussage um. Aus 'veni vidi vici ich kam, sah, siegte' macht Johannes Evangelista 'Ich ging hin, wusch mich und ward sehend'. Im Griechischen sind 'ich wusch mich' und 'ich siegte' klanglich so nah beieinander, daß sie verwechselt werden können (enikisa/enipsa).
Der Autor strapaziert nicht allein philologische Spitzfindigkeiten, sondern findet auch in der Ikonographie Belege für seine These. Cäsars Lorbeerkranz wurde zur Dornenkrone, auf augustinischen Denaren enthüllt sich das Kreuz. Spätestens bei der Gleichsetzung einer Plutarchstelle mit einer Evangeliumspassage merkt der verdutzte Leser, dass er offenbar einem raffinierten Wissenschaftsfake auf den Leim gegangen ist: "Man sagt, dass in der Nacht vor dem Übergang über den Rubicon er einen schrecklichen Traum hatte: Es war ihm, als ob er mit seiner Mutter verkehrte in blutschänderischem Beischlaf." Dies 'übersetzte' der Latein nur radebrechende Markus mit: "Und alsbald, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube herabkam auf ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich mein Wohlgefallen."
Der Rest des Buches ist dann das reine Vergnügen. Pompeius wird zu Johannes dem Täufer, Marc Anton zu Petrus, Kleopatra zu Maria Magdalena und Brutus zu Judas. Erklärt wird auch die Dreieinigkeit durch das dem Tode Cäsars folgende Triumvirat, und die Apokalypse erzählt angeblich in mystischer Form die Ägyptenkampagne des Octavian das Weib und der Drache sind Kleopatra und ihr Krokodil (= Ägypten), das neue Jerusalem natürlich Rom.
Der Verlag bietet diese dickleibige Satire auf akademische Wolkenschieberei für nur 20 Mark feil. Nebenbei auch ein gelungenes Stück Parodie auf ambitionierte Welträtsellöser à la Qumran- und Gralsforscher, Göttinnensucher und Geschichtsbildumwälzer.
Bleibt noch die Frage: Heißt der Autor tatsächlich Francesco Carotta oder in Wirklichkeit Franz Mohr (Möhre), und ist er gar nicht, wie der Verlag behauptet, 'in der tiefen Po-Ebene geboren', sonder will genasführten Fachkritikern hinterrücks mit dem Götz-von-Berlichingen-Zitat winken?
NOTA BENE: Es gibt einige Ungenauigkeiten, so steht 'augustinische Denare' wahrscheinlich für 'augusteische Denare' (womit unser Rezensent Markus toppt, und Kaiser 'Augustus' zum Kirchenvater 'Augustinus' macht); auch wird, verstärkt durch die Interpunktion, den Eindruck erweckt, 'Caesarea, Samaria, Galiläa' seien 'Regionen des ummittelbaren Wirkens Caesars' gewesen (Caesar war selbst kaum dort, in den späteren Gebieten des Herodes, außer während der Küstenfahrt von Ägypten nach Antiochia) und derart. Aber man kann sich beim Lesen dieser sehr informativen Rezension auch köstlich amüsieren.
Der Rezensent, von dem man sagt, er gehöre zum ersten Carré der Redakteure der Satire-Zeitschrift 'Titanic', hat sich wohl gedacht, da bei diesem Buch erklärtermaßen 'am Anfang der Jokus steht', sei auch alles Satire, nach dem Motto: Alles ist im Anfang. Die Idee, es könne sich beim Evangelisten um einen (unfreiwilligen) Urkomiker handeln, widerstrebt ihm anscheinend. So denkt er, der Autor sei ein Satiriker. Dabei scheint der Evangelist die Satire weit zu übertreffen, denn er hat sich manches in der Hinsicht erlaubt, wie etwa als er aus dem erwähnten veni vidi vici, «ich kam, sah und siegte» sein «ich kam, wusch mich und sah» machte: Eine Blindenheilung! Aber ein Satirikere muß der Aufdecker sein. Offensichtlich gibt es Nachrichten, die können nur vom Satiriker überbracht werden und da lacht das Publikum, weil es denkt, er würde scherzen. Insofern ist der Rezensent hier zum Publikum geworden: l’arroseur arrosé. Auf den Leim gegangen, indem er Leim witterte.
Dabei ist er so begabt. Er hat kapiert wie es Markus gemacht hat, und macht dessen Masche nach, der die 'Claudii' als 'Lahme' und die 'Caecilii' als 'Blinde' genommen hat: 'Carotta' liest er naheliegend als 'Möhre', 'Augustus' nimmt er für 'Augustinus' und erweist sich selbst als ein begabter 'Evangelist': Ach wäre er nur bloß früher geboren!
Interessant ist dabei, daß 'Carotta' gar nicht 'Möhre' bedeutet (ital. 'carota', mit einem einzigen 't', und keinem 'Doppel-t', was die Italiener in der Aussprache sehr genau nehmen), sondern 'Rothaus' ('ca' ist venetianische Kurzform von 'casa', 'rotta' eine andere Form für 'rossa', aus dem germanischen 'roth': so gibt es dort die Varianten 'Carotta' und 'Carossa' wie der Dichter Hans Carossa und 'Casarotta' und 'Casarossa', ähnlich die bekannteren 'Casanova' der Schriftsteller und 'Canova' der Bildhauer , beide 'Neuhaus' ('nova' = 'neu')). Und auch der Fluß 'Po', der von 'Padus' kommt, ist nicht dasselbe wie der deutsche 'Po', der von 'podex' sich ableitet, und in der Verwendung im Italienischen nicht vorkommt. Somit hat der Rezensent wortspielend dieselbe Art von Verwechselung gemacht, wie Markus, wenn er etwa lateinisch 'alea', 'Würfel' für griechisch '(h)aleeis', 'Fischer' hielt, 'enikisa', 'siegte' für 'enipsa', 'ich wusch mich', oder das bemängelte 'oneiros', 'Traum', für 'ouranos', 'Himmel'. Aber diese 'fakes' sollen nach seiner Interpretation nicht auf's Konto seines Lehrmeisters Markus gehen, sondern auf das des Autors, der darauf hinweist. Wie der Chinese schon sagte: Wenn der Weise auf den Mond zeigt, schaut der Einfältige auf den Finger. Gilt anscheinend auch für Doppel-Gescheite.
Es sei denn ...: Es sei denn, dieses Hinschieben auf Satire ist eine List des Rezensenten, um überhaupt dieses Buch in der Badischen Zeitung besprechen zu dürfen. Dann wäre er doch einfach gescheit gewesen.
Übrigens, zur Information: Das, was der Rezensent ganz unmöglich findet, nämlich daß die Rote Hure der Apokalypse mit ihrem Tier ursprünglich Kleopatra war, sagte bereits der sehr seriöse und viel beachtete, jedenfalls von niemandem belächelte Ethelbert Stauffer in Christus und die Caesaren, Hamburg 1952; so S. 58, Anm.1: «Es scheint mir, daß die Weissagung von Jeremia 51,13 auf Kleopatra bezogen wurde, ehe man sie in Apokalypse 17,8 f. auf Rom übertrug; s. S. 205 f.»
Und wenn er daran Anstoß nimmt, daß Caesars ödipaler Traum der Ursprung für Jesu Taufe samt Taube darstelle, möge er sich doch die Darstellungen auf dem Dachtempel in Dendera anschauen, wo Isis (i.e. Kleopatra) in Falkengestalt über dem Ithyphallos des darliegenden Osiris (i.e. Caesar) in eindeutiger Absicht flattert, und bedenken, daß die bürgerlichen moralischen Vorstellungen bei der Wahrnehmung jener homines imperiosi einfach zu kurz kommen. Und da hilft auch keine Psychoanalyse: Im Ägypten wußte man noch, daß Ödipus ein König war, und daß ödipale Träume zur selben Machtsphäre gehörten, wie die Geschwisterehe des Pharaonenhauses.
Eine gute Rezension, jedenfalls, nicht zuletzt weil es eine ist. Wie sagte schon Salvador Dalì? «Sie sollen über mich schreiben, und wenn sie Gutes schreiben!»
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