ZeitGeist – Interview


[ redi ad Echo ]


ZeitGeist, Stuttgart, 2/2001, S. 52–7
zeitgeist-online

Zeitzünder

Der historische Jesus:
Julius Cäsar als Religionsstifter
der besonderen Art

Im Gespräch mit dem Philosophen und Sprachforscher
Francesco Carotta

Interview MARC-STEFFEN KRAFT

Die Leben-Jesu-Forschung tritt auf der Stelle. Zahllose Veröffentlichungen haben seit Jahrzehnten keine neuen Erkenntnisse gebracht. Durch die jüngsten Entdeckungen von Francesco Carotta erhält der 2000 Jahre alte Mythos um Jesus endlich ein historisches Fundament. Unverständliche Auslegungen der Heiligen Schrift werden auf überraschende Weise in einen neuen, sinnbringenden Zusammenhang gestellt. Lassen Sie sich ein auf einen Abenteuer-Trip zu den Ursprüngen des Christentums.

Carotta: Zunächst möchte ich klarstellen, dass der Buchtitel vom Verlag festgelegt wurde – trotz meiner Gegenargumentation. Richtig lautet meine Kernthese: Jesus Christus ist der uns überlieferte Divus Julius, also der zum Gott erhobene und nicht der Mensch Julius Cäsar (siehe auch Kasten auf Seite 55). Auch der Untertitel ist so nicht korrekt, denn ein im Übersetzungsprozess verzerrtes Bild ist noch keine Kopie …

Sie haben recht. Dass in beiden Überlieferungen gleiche Anekdoten auftauchen, ist in der Tat wenig verwunderlich, denn vieles gehörte damals zur Allgemeinbildung. Jede einzelne Übereinstimmung kann man natürlich auch anders erklären. Das Problem besteht jedoch darin, dass alle Sprüche in beiden Werken vorkommen, und zwar nicht wahllos, wie man es erwarten würde, sondern in struktureller Übereinstimmung. Man könnte also bei jeder einzelnen Entsprechung sagen: „Das ist Zufall!“. Aber was für ein Zufall ist es, wenn alle Zufälle in der gleichen Reihenfolge auftreten?

Ja, so überraschend das auch klingen mag. Ich habe dies ausführlich in meinem Buch dargelegt (Einige Beispiele sind im Kasten auf Seite 52 erläutert). Aber es kommt noch schlimmer – schlimmer für die traditionellen Altphilologen. Es gibt zahlreiche Varianten in den Evangelien, die sich nicht erklären lassen. Ein Beispiel: Wo bei Cäsar Capitol vorkommt, schreibt ein Evangelist Golgotha oder Schädelstätte, ein Anderer aber Ölgarten und ein Dritter Gethsehmane, die Ölkelter. Aber alle Namen sind drei mögliche Übersetzungen des lateinischen Wortes CAPITOLIUM. Wenn man CAPITOLIUM von CAPUT (Schädel) ableitet, dann ist Schädelstätte korrekt. Einer Legende zufolge fand man dort den Schädel eines alten etruskischen Königs namensOllus. Wenn man aber aus CAPITOLIUM OLIUM (Öl) raushört und CAMPI für Felder, wie im Italienischen Campidoglio, kann es als Ölgarten verstanden werden. Hört man aber in CAPITOLIUM CAPIT (das Fassen), dann ist es als Ölkelter zu verstehen. Oder ein anderes Beispiel. Die Theologen wundern sich, dass im Johannes-Evangelium Jesus fünfmal nach Jerusalem kommt, übrigens genau so oft, wie Cäsar nach Rom. Bei Markus, Matthäus und Lukas, den anderen Evangelisten hingegen, kommt er nur einmal nach Jerusalem, ansonsten ist er entweder in der Wüste oder er geht in die Dörfer. Aber in der Wüste heißt auf griechisch EREMO, das ist ROMAE sehr ähnlich. Es sind dieselben Buchstaben enthalten: EREMO/ROMAE. Und wenn er in die Dörfer geht, griechisch KOMEN, ist dies sehr nahe bei ROMAM (Rom) – KOMEN/ROMAM. Zufall? Nein, es sind typische Verschreibungen, was Ihnen jeder Linguist bestätigen wird. Aus ROMA (lat. für Rom) wurde bisweilen auch hieROsolyMA (gr. für Jerusalem), eine überraschende, aber nicht unmögliche Erweiterung. Ein Kopist liest doch in das, was er abschreibt genau das hinein, was er erwartet. Erschwert wurde deren Arbeit durch den Umstand, dass damals im Griechischen alles zusammengeschrieben wurde (siehe Kasten mit Originalevangelium auf Seite 57 unten) – man hatte also immer das Problem der Trennung. Falsch getrennt wird aus Blumen-topf-erde schnell Blumento-Pferde und aus Ur-Instinkt Urin stinkt. Dass in einem Übersetzungsprozess Verballhornungen stattfinden, ist unvermeidlich.

Sicherlich, in den Köpfen der Menschen ist Cäsar ein Kriegsherr, der viele schreckliche Morde auf dem Gewissen hat, während uns Jesus als gütiger Wanderprediger überliefert ist. Cäsar gilt als Vorgänger von Diktatoren wie Hitler oder Mussolini – der Pinochet Roms sozusagen. Die Tatsache, dass Cäsar auch Pontifex Maximus, der höchste römische Priester war, wird in seinen Biographien nur beiläufig erwähnt. Übrigens beansprucht der Papst in Rom noch heute denselben Titel. Schon zu Lebzeiten Cäsars wurde bestimmt, dass er nach seinem Tode zum Gott („Divus Julius“) erhoben werden sollte. Auch das wird nur in historischen Spezialuntersuchungen behandelt; die Theologie kümmert sich überhaupt nicht darum. Es ist allgemein bekannt, dass die Römer viele Götter verehrten. Bei Berührung mit anderen Kulturen kam es zu einer Angleichung der Gottheiten. Nicht selten wurden große Herrscher nach ihrem Tod bestimmten Göttern zugeordnet, so wie beispielsweise Alexander der Große dem Zeus (Amon). Irgendwer[*] hat das treffend formuliert: „Die Herrscher von heute sind die Götter von morgen.“ Divus Julius hingegen war ein neuer Gott nach römischem Muster. Davon profitierte auch sein Adoptivsohn Octavian (siehe Kasten auf Seite 56). Nach dem Sieg über die Cäsarmörder wurde Cäsar zum höchsten Reichsgott und Octavian zum Gottessohn gekürt. Die großen Bleigeschosse, die Octavian auf die Anhänger seines Widersachers Antonius (siehe Kasten auf Seite 56) abfeuern ließ, trugen noch den Namen Divus Julius. Interessanterweise hat sich aber bislang noch niemand die Frage gestellt, was aus Divus Julius, dem größten Kult der Römer, geworden ist …

Natürlich wollten alle Cäsaren nach ihrem Ableben auch zu Göttern werden, aber diese Entscheidung lag in den Händen anderer. Oft wurden ihre Tempel sehr früh verwüstet, wie es zum Beispiel Domitian geschah. Sein Name wurde ausradiert und ersetzt durch den von Nerva. Der Divus Julius-Kult aber fiel der Verfluchung nicht anheim. Seine Tempel wurden auch nicht von anderen Kaisern übernommen. Und dies hatte verschiedene Gründe. Cäsar war – entgegen der allgemeinen Lehrmeinung – bekannt für seine sprichwörtliche Milde, der legendären Clementia Caesaris (siehe auch Kasten oben). So war er generell dagegen, Menschen hinzurichten, vor allem ohne Urteil. Da er sehr wahrscheinlich Atheist war und an ein Leben nach dem Tod nicht glaubte, hat er sich größte Mühe gegeben, das Paradies auf Erden zu realisieren. Dafür hat er selbst sein Leben riskiert – und am Ende geopfert. Seine Feindesliebe hat er genutzt, noch stärker zu werden. Er ließ sogar die Mörder seines Rivalen Pompeius (siehe Kasten auf Seite 56) bestrafen. Doch den Sieg hat er nie verspielt. So ist er Weltherrscher geworden. Ein wichtiges Leitmotiv Cäsars lautete: „Diejenigen, die neutral sind, werde ich als Freunde betrachten.“ Im Evangelium steht an entsprechender Stelle: „Wer nicht wider uns ist, ist für uns.“ Übersetzt bedeutet dies „Liebet eure Feinde“. Bei Cäsar überwiegen eindeutig die guten Taten – sein Nachfolger Octavian dagegen war nicht nur strategisch-militärisch eine Niete, sondern auch menschlich ein Verbrecher. Es ist an der Zeit, unser Bild von Cäsar zu korrigieren.

Es waren vor allem philosophische Gründe. Nicht zufällig waren alle Cäsarmörder Stoiker[1] – es ging um ihr Verständnis von Freiheit. Cäsar war dafür bekannt, dass er alle, die er besiegt hatte, begnadigte. Aber eine Freiheit aus Cäsars Gnade war keine Freiheit. Erst im Kampf gegen Cäsar konnten sie ihre Freiheit zum Ausdruck bringen. Nach der Niederlage blieben nur der Selbstmord oder der Tot des Gegenübers („Vatermord“), um die Freiheit wieder zu erlangen.

Die Motive sind die gleichen! Cäsar wurde unterstellt, er wolle sich zum König und zum Gott, zum Gottkönig, machen. Und Jesus? Ihm wurde dasselbe vorgeworfen. Sogar die Bekleidung war identisch, die rote Cäsaren-Toga. Nur der Eichenkranz des Retters der Römer wurde zur Dornenkrone des Erlösers.

Auch Jesus wurde erdolcht – durchbohrt. Schon bei Paulus gibt es den Begriff „durchbohrt“. Allerdings verstand man darunter die Nägel an den Händen. Die Verurteilten wurden damals nicht festgenagelt, sondern mit Seilen angebunden. Im Koran steht noch überliefert, dass Jesus nicht gekreuzigt wurde. Er starb an der Wunde in der Brust.

Es war bei jedem angesehenen Römer üblich, seinen Leichnam zweimal der Öffentlichkeit vorzuführen. Einmal aufgebahrt, und das zweite Mal als Wachsfigur des Verstorbenen in vollem Ornat. Da die Cäsarmörder noch in der Stadt weilten, einigte man sich auf einen Kompromiss: Amnestie für die Mörder – dafür durfte der Pontifex Maximus beigesetzt werden. Die von ihm erlassenen Gesetze sollten in Kraft bleiben. Also ließ Antonius, ein Freund Cäsars, die Wachsstatue so formen, wie er nach der Ermordung vorgefunden wurde – mit ausgebreiteten Armen und mit Stichwunden übersät. Die Wachspuppe ließ er dann auf einer Vorrichtung anbringen, aufrichten und drehen, so dass das anwesende Volk sie sehen konnte. Und was sah es? Einen Gekreuzigten! Doch es gab noch ein zweites Kreuz: das Tropaeum. Das Siegesmal der Römer wurde dem Volk ebenso präsentiert, denn Cäsar hatte die größten und bedeutendsten seiner Feinde, die Gallier, besiegt. Anstelle des Brustpanzers und der Waffen des Gallierführers Vercingetorix ließ Antonius jedoch Cäsars Toga darüber hängen, blutbespritzt infolge die Dolchstiche. Während seiner dramaturgisch inszenierten Totenrede betonte er die guten Taten Cäsars: „Wahrhaftig, nicht von dieser Welt kann der Mann stammen, der nur das eine Werk verstand, zu retten, wo irgend jemand zu retten war.“ Dann hob Antonius die Toga mit einer Lanze hoch und zeigte sie dem Volk. Dies löste Aufruhr aus und das Volk machte Jagd auf die Cäsarmörder. Dann nahm das Volk die Leiche Cäsars und verbrannte sie vor seinem Amtssitz, dem Haus des Pontifex Maximus am Ende des Forum Romanum. Dort, wo der Scheiterhaufen[2] stand ist vermutlich auch das Tropaeum mitverbrannt worden. Die Veteranen opferten als Zeichen der Ehre sogar ihre Schmuckwaffen, die sie von Cäsar erhalten hatten. „Wir haben alles von Dir, und wir geben Dir alles zurück“. Dies war die Gründungsstunde der Religion des Divus Julius. Denn dort, wo die Leiche verbrannt wurde, fand im Rückblick, seine Apotheose, die Himmelfahrt, statt. Es gab Zeugen, die gesehen haben wollten, wie die Seele Cäsars in den Himmel aufgefahren ist. Davon gibt es sogar gemeißelte Darstellungen. Das Volk hatte an dieser Stelle einen improvisierten Altar aufgerichtet, der später wieder abgerissen, jedoch schließlich wieder aufgerichtet wurde, samt Tempel. Monate später erschien ein Komet, und zwar jeden Abend für mehrere Stunden. Das Volk glaubte, es sei die Seele Cäsars, die am Himmel erschienen war, um den Feierlichkeiten zu Ehren des Verstorbenen beizuwohnen. Octavian ließ daraufhin über jede Statue des Divus Julius einen Kometen anbringen. Das ist der Ursprung des Heiligenscheins und die klassische Form des Weihnachtssterns an der Spitze unserer Christbäume.

Cäsars Beisetzung war kein Theaterstück, sondern ein reeller Akt. Die Zitate wurden dem Volk von Antonius in den Mund gelegt, das ist nachzulesen. Es wurden Verse von Sophokles und von dem römischen Tragödienschreiber Pacuvius vorgetragen. Der berühmteste tradierte Vers ist dieser: „Ach habe ich sie denn gerettet, dass sie mich zugrunde richten“. Interessant ist auch, dass die ganze Osterliturgie der Kirche, die Form der Passionsspiele, Theaterzüge aufweist, die auf die Inszenierung des Antonius zurückgehen.

Eine TV-Produktion war angedacht. Ein Professor für Medien aus Wien sollte im Auftrag des ORF einen Film drehen. Aber die Religionsabteilung des Senders befand, dies sei zu spekulativ und man würde den Leuten ihren Jesus wegnehmen.

Eine berechtige Frage. Die Leute möchten glauben und dann komme ich und behaupte, im Kult des Divus Julius ginge es gar nicht um Glauben. Glaube ist eine falsche Interpretation von FIDES, was korrekt mit Treue übersetzt werden müsste. Sinngemäß geht es um folgendes: „Du darfst glauben, was du willst, Hauptsache, du bist treu, wenn es hart auf hart kommt.“ Nehmen Sie beispielsweise das Ritual der Taufe. Der Priester fragt den Täufling: „Schwörst Du dem Satan ab?“ Für den Täufling muss der Pate antworten: „Ja, ich schwöre dem Satan ab.“ Das ist Voraussetzung, um in der katholischen Kirche getauft zu werden. Heutzutage empören sich die Menschen: „In meinem Kind sitzt doch kein Satan!“ Sie treten nicht nur aus der Kirche aus, sondern schon gar nicht mehr ein. Dabei ist Satan nur eine Verschreibung von Senat, und die Taufe die Rekrutierung der Soldaten. Und das einzige, was sie dabei tun mussten, war, zu bekennen, nicht gegen Cäsar vorzugehen. Übertragen Sie das Ritual auf die christliche Taufe, müsste die Frage des Priesters eigentlich lauten: „Verzichtest Du darauf, die Kirche zu bekämpfen?“ Mehr nicht. Sehen Sie, vom Gesichtspunkt der Klärung und Rückführung des Christentums auf den Divus Julius-Kult bekommen unverständliche Rituale plötzlich wieder einen Sinn. Insofern nehme ich den Menschen nichts – im Gegenteil ich gebe Ihnen etwas zurück.

Wie die Jungfrau zum Kinde – zufällig. Vor etlichen Jahren fiel mir ein Buch zum 2000. Todestag Cäsars in die Hand. Darin waren zahlreiche Abbildungen, Portraits und Statuen. Da ich in meiner Kindheit Messdiener war, dachte ich mir: „Moment mal, solche Gesichter habe ich als Kind beweihräuchert – das ist nicht Cäsar!“ Der Kopf Caesars,/ (siehe Seite 53 oben) zeigte für mich eindeutig das Gesicht Jesu. Das war vor 14 Jahren. Seitdem hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Damals hatte ich eine Informatikfirma: wir verkauften künstliche Intelligenz. In schlaflosen Nächten arbeitete ich nebenher an meinem Thema. Darunter litt natürlich die Firma und vor allem meine Gesundheit. Irgendwann wurde ich dann auch krank. Ich musste mich entscheiden. Entweder vergesse ich das Ganze oder ich lasse meinen Job und bringe zu Ende, was zu Ende zu bringen war. Wofür ich mich entschied. Wissen Sie, wirtschaftlich war es die schlechteste Entscheidung. An dem Tag bin ich über den Rubicon gegangen, und jetzt muss ich zusehen, dass ich nicht noch über den Jordan gehe. Aber wenn ich die Wahl hätte, würde ich es wieder tun. Manchmal habe ich allerdings das Gefühl, dass es umsonst war. Ich muss gestehen, ich frage mich inzwischen, ob es sich lohnt, weiter zu machen.

Ich habe erwartet, dass die Leute dasselbe Interesse hätten wie ich. Neugier und eine Art intellektuelles „Sich-nichts-vormachen-wollen“. Aber die Menschen sind überhaupt nicht neugierig. Das, was ich aufgedeckt habe, war auch für mich nicht immer einfach – man projiziert ja gerne. Liebend gerne hätte ich andere Ergebnisse gehabt. Meine Neugier war befriedigt, schon bevor ich das Buch schrieb. Wozu sollte ich es dann überhaupt schreiben? „Der Alte“ hatte es geschafft, zweitausend Jahre inkognito durch die Weltgeschichte zu geistern. Vielleicht wollte er das so. Vielleicht war das die einzige Form, in der es sich verbreiten konnte? Die Leute wollen nicht wissen. Sie wollen glauben. Doch kann man noch glauben, wenn man weiß?

Weit gefehlt. Ich war verblüfft, dass negative Reaktionen aus einem Lager kamen, von wo ich es nicht erwartet hätte. Kein Archäologe kritisierte die archäologischen Aspekte in meinem Buch. Sie kritisierten vielmehr die theologischen Inhalte. Kein Historiker die historischen Punkte, sondern die linguistischen usw. Viele Wissenschaftler sind in Nebendisziplinen konservativ und nur in ihrem Fachgebiet offen. Mein Buch berührt die Theologie – deswegen finde ich die größten Widersacher nicht bei den Theologen, sondern bei den Historikern. Sie müssen wissen, dass die Theologie nur von den Evangelientexten ausgeht. Daher kann sie nicht wissen, was ursprünglich ist und was später hinzugefügt wurde.

Weil er von Anfang an ein heiliger Text war. Es war der Text, der von Divus Julius spricht, und als lateinischer Text in der Liturgie schon fest verankert war. Und er ist es geblieben, trotz seiner Verfremdungen. In seiner heutigen Fassung hätte er sich nie durchsetzen können. Alle hätten gesagt: „Ihr habt schon bessere Witze erzählt.“

Wenn anerkannt werden würde, dass Jesus Divus Julius ist, wären alle Konzilien bis heute ungültig. Es wäre illegal, dass der Papst von Kardinälen gewählt wird. Er müsste vom Volk gewählt werden. Ostern müsste zwischen dem 14. und 21. März begangen werden usw. Die Kirchen müssten völlig umdenken. In die Frage „Was hätte Jesus dazu gesagt?“ kann viel hineinprojiziert werden. Ganz anders Cäsar. Was er vertreten hätte, steht ziemlich fest. Zum Beispiel im Fall der Stasi-Akten. Cäsar hätte sie verbrennen lassen. Es hätte ihn nicht interessiert, was drin steht. Mit der Jesus-Überlieferung lässt sich da einfacher umspringen. Denn aus Jesus kann man das machen, was man will. Deswegen wird man lieber bei Jesus bleiben.

Das, was ich mit dem Markus-Evangelium getan habe, müsste ich systematisch auch mit den anderen Evangelien machen. Doch zunächst ist bei einem Hamburger Verlagshaus mein nächstes Buch „Divus Julius. Das Werden eines Gottes“ in Vorbereitung. Es könnte als Leitfaden für eine Inszenierung dienen. Auch eine Cäsarbiographie sollte ich schreiben. Um ein breiteres Publikum zu erreichen, würde ich die Biographie gern in Romanform verfassen, vielleicht aus Sicht von Cäsars Koch, der seine Memoiren erzählt.

Anmerkungen:
[1] Stoa, Phylosophenschule, gegründet 308 v.d.Z. von Zeno d. J. in Athen. die Lehre der Stoiker gliederte die Philosophie in Logik, Physik und Ethik.
[2] Im Evangelium ist an entsprechender Stelle von PYRA die Rede, was fälschlicherweise als Myrrhe (MYRA) verstanden wurde. Die korrekte Übersetzung lautet Scheiterhaufen.
[3] CAFARNAUM (so u.a. die Schreibweise auf dem abgebildeten Facsimile des Codex Bezae Cantabrigiensis) hätte auf Lateinisch anstelle des F mit PH geschrieben werden müssen, wenn es sich um eine Übersetzung aus dem Griechischen handelte. Eines von vielen Indizien dafür, dass das „Urevangelium“ in Latein abgefasst wurde.

[*] Euhemeros (4/3. Jh. v.d.Z.), sinngemäß.

__________

Kasten 0 (S. 52):
Cäsar versus Jesus: Zufällige Übereinstimmungen?
Cäsar ist zu Beginn des Bürgerkriegs in GALLIA. Jesus beginnt seine Predigt in GALILAA. Danach überqueren beide einen verhängnisvollen Grenzfluss, Cäsar den Rubicon und eröffnet damit den Bürgerkrieg. Jesus geht über den Jordan. Beide landen in einer Stadt. Bei Cäsar ist CORFINIUM vom Gegner besetzt. Jesus trifft in CAFARNAUM[3] auf einen Besessenen. Besetzt und besessen sind mögliche Übersetzungsvarianten des lateinischen Wortes OBSESSUS. Dies setzt sich in gleicher Weise fort. Bei der nächsten Besetzung hier gibt es wieder einen Besessenen dort. Bei Cäsar scheitert die nächste Belagerung, weil der eingekesselte Pompeius den Belagerungsring sprengen kann. Bei Jesus lässt sich der Besessene nicht fesseln. Und der Belagerte Pompeius hält sich mit seinen LEGIONEN in den Verschanzungen, lateinisch MUNIMENTA. Der Besessene bei Jesus nennt sich LEGION und hält sich in den Gräbern (MONUMENTA) auf.
(Quellen: Caes. bell. civ. und Parallelüberlieferung sowie Markus-Evangelium 5,9, cf. die Lutherbibel)

Kasten 2 (S. 54):
Julius Cäsar, das Römertum und seine sprichwörtliche Clementia
Die Römer waren kein Volk im Sinne einer ethnischen Gemeinschaft. Man konnte Römer sein und seiner Herkunft trotzdem treu bleiben. Unter Cäsar wurden sogar ganze Städte oder Völker ins Reich integriert. Die Römer waren stolz auf ihre Demokratie, das Königtum war gefürchtet. Cäsar besiegte die Gallier, machte sie zu römischen Bürgern und verhinderte somit endgültig Plünderungen Roms. Er wandelte das Weideland in Acker um, wodurch mehr Menschen versorgt wurden. Er führte den nach ihm benannten julianischen Sonnenkalender ein; auch der Monat Juli leitet sich von seinem Namen ab. Sein Name, Cäsar (gr. Kaisar, dt. Kaiser, russ. Zar), wurde zum Sinnbild für einen Herrscher, der über den Königen steht. Er griff als Pontifex Maximus (höchster Priester, heute Titel des Papstes) in den Bürgerkrieg ein. Er wollte die Macht, um Güte zu üben. Der Historiker Plinius schreibt: „Der eigenste und tiefste Wesenszug Cäsars war seine königliche Clementia (Milde, Vergebung oder Feindesliebe), mit der er alle überwand und zur Umkehr brachte. So bot er das Beispiel einer großen Seele, wie es kein zweites mehr gibt.“ Weiter schrieb Cäsar an Cicero: „Das muss die neue Siegestaktik und Sicherheitspolitik sein, dass wir Vergebung üben und eine freie und festliche Welt schaffen.“ Er erließ Gesetze gegen die Korruption und senkte die Zinsen, enteignete Großgrundbesitzer und beschnitt die Privilegien der römischen Oberschicht. Am 15. März 44 v. Chr. wurde Julius Cäsar durch reaktionäre Senatoren ermordet. Das römische Volk verherrlichte den großen Toten durch eine einzigartige Passionsliturgie, die eine erstaunliche Verwandtschaft mit der Karfreitagsliturgie der Römischen Messe zeigt. Cäsar wurde zum höchsten Reichsgott, Divus Julius, erhoben, aus tiefster Überzeugung des Volkes.

Kasten 1 (S. 55):
Francesco Carottas These in Kürze
1) Cäsars Bilder entsprechen nicht unserem Bild von Cäsar.
2) Der Lebenslauf Jesu folgt auffälligerweise jenem Cäsars.
3) Die Personen bei Cäsar und ihre Darsteller bei Jesus entsprechen sich, strukturell und im Namen (ebenso die Orte).
4) Alle markanten Worte Cäsars finden sich im Evangelium wieder, am strukturell entsprechenden Platz.
5) Die Osterliturgie folgt nicht dem Bericht des Evangeliums, sondern dem Beisetzungsrituals Cäsars.

Daraus resultiert: Der Jesus-Kult (das Christentum) ist der Kult des Divus Julius (des vergöttlichten Cäsars), so wie er sich im Laufe der Jahrhunderte in den Veteranen-Kolonien im Osten des Reiches verformt hat. Was die Kirche immer behauptet hatte, nämlich dass das Markus-Evangelium zwölf Jahre nach dem Abgang des Herrn in Rom auf Lateinisch geschrieben worden war, wird in eklatanter Weise bestätigt. Die jahrhundertlange Auseinandersetzung, ob nun das Evangelium Geschichte sei oder Literatur, wird auf eine nachprüfbare Basis gestellt. Die Frage, ob Jesus eine historische Gestalt sei, wird aufgehoben: Jesus ist der historisch tradierte Divus Julius.

Eine ausführliche Darstellung seiner These finden Sie in seinem Buch „War Jesus Cäsar?“ auf seiner WebSite www.carotta.de und in unserer Online-Ausgabe im Internet unter www.zeitgeist-online.de.
[hier Buchcover]

Kasten 3: (S. 56)
Kurzbiographien der zentralen Gestalten
Gaius Julius Cäsar/Divus Julius (100-44 v.d.Z.), bedeutendster römischer Feldherr, Sieger über die Gallier. Er war mehr als zwanzig Jahre Pontifex Maximus, höchster römischer Priester. Stammte mütterlicherseits von Königen ab, väterlicherseits führten die Julier ihre Herkunft auf die Venus Genetrix zurück, die Venus mit dem Kinde, aus dem der Marienkult entstand. Wurde nach seiner Ermordung zum höchsten römischen Gott Divus Julius erhoben, welcher Milde und Vergebung verkörperte. Im Evangelium wurde er zum Retter der Welt, Jesus Christus.

Pompeius (106-48 v.d.Z.), Caesars Schwiegersohn. Wurde dessen größter Gegner im Bürgerkrieg. Er entkam Cäsars Belagerung und floh nach Agypten, wo ihn Ptolemaios, der Bruder Kleopatras, enthaupten ließ. Cäsar weint beim Anblick seines Hauptes, bestraft die Täter und setzt Kleopatra ein. Pompeius wird im Evangelium zu Johannes dem Täufer, der Cäsar/Jesus sozusagen aus der Taufe hebt.

Octavian/Augustus (61 v.d.Z.-14 n.d.Z.), erster römischer Kaiser, Adoptivsohn Cäsars, nach dessen Ermordung und Erhebung zum höchsten Reichsgott (Divus Iulius) wurde auch Octavian als Divi Filius (Gottessohn) verehrt. Er kämpfte zuerst gegen Antonius, dann verfolgte er die Cäsarmörder, später wollte er die alleinige Macht und besiegte Antonius. Da sein Biograph, Nikolaus von Damaskus, ihn nur Cäsar nannte, kam es zu einer Vermengung der beiden historischen Gestalten. Seither wird seine Kindheitsgeschichte im Evangelium erzählt, die vom Nikolaus und dem Jesulein. Ebenso ist er der auferstandene Cäsar/Christus.

Marcus Antonius (82-30 v.d.Z.), jüngerer Freund und Parteigenosse Cäsars. War als Konsul für die Ausrichtung von Cäsars Trauerfeier verantwortlich. Versuchte die Übernahme von Cäsars politischer Erbschaft durch Octavian zu verhindern, bildete aber dann mit diesem das Triumvirat gegen die Cäsarmörder. Heiratete Kleopatra und beging mit ihr Selbstmord nach Octavians Sieg. Wird im Evangelium zu Simon/Petrus.

Marcus Junius Brutus (85-42 v.d.Z.), Sohn der Servilia, Cäsars Geliebte. Gegner Cäsars im Bürgerkrieg, wurde begnadigt und in Cäsars Freundeskreis aufgenommen. Cäsar soll bei seiner Erdolchung gerufen haben: „Auch Du, mein Sohn?“. Brutus war der wichtigste Mörder Cäsars (wie Barabbas bei Jesus der Mörder ist, BRUTus=BRABas).

Decimus Junius Brutus (um 81-43 v.d.Z.), zunächst treuer Anhänger Cäsars. Im Testament Cäsars als Miterbe eingesetzt. Er war Cäsars Verräter, Junius=Judas. Er ging mit ihm zum letzten Abendmahl und holte ihn am nächsten Tag zur Senatssitzung ab. Das Zeichen zur Ermordung war der Begrüßungskuss, daher der Judaskuss.

Cassius Longinus (gest. 42 v.d.Z.), Gegner Cäsars im Bürgerkrieg, wurde begnadigt. War der Anstifter der Verschwörung; er soll Cäsar den Todesstoß in die Brust versetzt haben. Im Evangelium wird er zum Hauptmann Longinus, der Jesu mit der Lanze in die Seite sticht.

Asinius Pollio (76 v.d.Z.-4 n.d.Z.), Republikaner aus Überzeugung, schloss sich im Jahre 49 v.d.Z. Cäsar an. Im Evangelium mutiert Asinius Pollio durch die direkte Übersetzung seines Namens zum Eselsfohlen, auf dem Jesus nach Jerusalem Einzug hält.

Weitere biographische Notizen im Internet unter www.zeitgeist-online.de.

Kasten 4 (S.53):
Curriculum vitae
Francesco Carotta, geboren 1946 in Italien, Vater Atheist, Mutter gläubig. Priesterseminar in Italien, Studium der Philosophie in Frankreich und Linguistik in Deutschland, in den 70er Jahren aktiv in den kulturpolitischen Bewegungen, in den 80ern Mitgründer einer Informatik-Firma, später Leitung eines Buchverlages. Seine bisherigen Veröffentlichungen sind Ergebnis eigenständiger Forschung. Kontakt: info@carotta.de
[hier Foto Carotta]

Anzahl Zeichen: 24853
Anzahl Seiten: 6

Bebilderung:

(S.57): Die lateinischen Urtexte (im Bild: Codex Bezae Cantabrigiensis, 5. Jh.) enthielten keine Worttrennungen und wurden von links als auch von rechts gelesen. [NB: das ist sehr unpräzise. Gemeint ist, daß das auf dem Bild sichtbare Abfärben der Tinte von der entgegengesetzten Seite dazu verführte, manches Wort gelegentlich von rechts nach links zu lesen (idem für die durchschimmernden)]. Deutlich erkennbar nachträgliche Anmerkungen am Rand.

(S. 52–3): Jesus oder Cäsar? Links eine Münze mit dem Konterfei des Divus Julius, rechts der Kopf Torlonia (pietà Caesaris) mit montiertem Eichenlaub

(S. 54): Das Tropaeum der Römer. Eine Urform des christlichen Kreuzes?

(S. 56–7): Die Auferstehung des Divus Julius (Münzbild), daneben seine Himmelfahrt. Das gleiche Motiv findet sich in der ältesten christlichen Darstellung der Himmelfahrt Jesu (Mosaik, 3. Jh.)

Foto Carotta im Kasten 3

Buch Carotta im Kasten 1

Im oder beim Kasten 0: Auszug aus dem Markus-Evangelium 5,9


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