Berliner Zeitung – Arno Widmann


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Berliner Zeitung – 28. Juni 2000 – Feuilleton

JESUS-JULIUS
[
Original ]

ARNO WIDMANN

Die Jesus-Literatur ist voller Verrücktheiten. Auf eine der schönsten sei in diesem heiligen Jahr hingewiesen. Francesco Carotta versucht auf mehr als fünfhundert Seiten plausibel zu machen, dass die Evangelien in Wahrheit die Geschichte Julius Cäsars erzählen. Er zieht von der Numismatik über Linguistik und Textanalyse alles heran, von dem er glaubt, es könnte seine Inspiration stützen. Er tut das mit bewunderswerter Schamlosigkeit und mit der Verwegenheit eines Fanatikers, der weiß, dass ihm alles zu seiner Seligkeit dienen muss. Das liest sich dann manchmal so: "Markus ist nicht der Autor, sondern der Auftraggeber, der Schirmherr. Dem Titel nach geht dieses Evangelium auf die von Marcus Antonius autorisierte Fassung der Vita Divi Iulii zurück." Dann folgt eine eingehende Parallellektüre beider Texte, die Zitat für Zitat verglichen werden. Statt emphylion – Bürgerkrieg – heißt es jetzt Euangelion, eine Verschreibung gewissermaßen. Das ist natürlich alles horrender Blödsinn, denn nach diesem Verfahren ließe sich jeder Text in einen beliebigen anderen verwandeln.

Der Leser greift sich an den Kopf, ärgert sich, fühlt sich auf den Arm genommen. Und Recht hat er. Aber Unrecht hat er, wenn er sich nicht amüsiert. Er hält nämlich eine der großartigsten Wissenschaftsparodien in Händen, die jemals erschienen sind. Carotta nimmt die Verfahren klassischer Textkritik, die stilkritischen Methoden der Archäologie auf die Schippe, nicht den Leser. Der hat seinen Spaß an den absurden Volten, die aus der Biografie eines Schlächters, die des Lammes machen. Schade, dass es Carotta nicht geglückt ist, diesen wunderbaren Jux in einem Wissenschaftsverlag unterzubringen.

Francesco Carotta, War Jesus Cäsar? – 2000 Jahre Anbetung einer Kopie, Goldmann Taschenbuch Verlag, München 1999, 512 Seiten, zahlreiche s/w Abbildungen, 20 Mark
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NOTA BENE: Mein alter Freund Arno Widmann hat schon immer Mühe gehabt, Spaß und Ernst auseinander- und vor allem zusammenzuhalten. Für ihn ist es anscheinend entweder das eine oder das andere. Da unser Introitus witzig geschrieben ist, und Bezug nimmt auf eine inszenierte ironische Madonnenerscheinung (worüber er zu jener Zeit sich weigerte in der taz zu berichten, stattdessen schrieb er sehr ernst über die Mariae Erscheinungen von Medjugorje, die seiner Meinung nach echt waren (sic!)), muß alles nur eine Parodie sein.
Er ist nicht der einzige, der Probleme hat mit Ernst und Spaß miteinander. Ähnlich ist einige Monate davor dem für die Badische Zeitung schreibenden Albert Sellner ergangen. Wir verweisen den Leser darauf, und verzichten hier aus Gründen der Freundschaft und der Pietät auf eine Erwiderung an Arno: s. also da.



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