Nachfolgend Auszüge aus der Darstellung von Ethelbert Stauffer
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Ethelbert Stauffer DIE RÖMISCHE REICHSMETAPHYSIK IN OST UND WEST [aus: Jerusalem und Rom im Zeitalter Jesu Christi, Bern 1957, S. 2039 Ein Urpostulat der antiken Religionen ist das Verlangen nach der Menschwerdung Gottes. Die antike Reichsmetaphysik verkündet: Dies Postulat ist erfüllt. Die Gottheit ist Mensch geworden in der Gestalt des regierenden Herrschers. Das ist das politische Evangelium, das im neutestamentlichen Zeitalter seine verheißungsvollste Entfaltung erfährt. Einige Dokumente mögen das illustrieren. Im Londoner Münzkabinett liegen zwei silberne Zehndrachmenstücke, höchstwahrscheinlich von Alexander dem Großen anno 324 als Festmedaillons zur Völkerhochzeit von Susa geprägt. Sie zeigen auf der Vorderseite Alexander mit griechischer Rüstung und persischem Helm, das Blitzbündel in der Rechten, von fliegender Nike gekrönt. Auf der Rückseite wird der Sieg Alexanders über den Inderkönig Poros verherrlicht. Der Sinn der Vorderseite ist klar: der junge König, der sich schon in Ephesus mit dem Zeusblitz darstellen und in Ägypten als Sohn des luppiter Ammon begrüßen ließ, Alexander ist die Epiphanie des Zeus und zugleich der homo universalis, ausgerüstet mit den Waffenstücken der beiden neuen Reichsvölker, die in Susa verschmolzen werden sollen, der Makedonen und Perser. Der Sohn des Zeus vereinigt 0st und West, Reich und Polis, um eine neue Menschheit zu schaffen 1). Anno 167 ante prägt Antiochus IV. ein Vierdrachmenstück, das als das authentischste Zeugnis seiner Herrschermetaphysik und Religionspolitik gelten darf, aber wie eine epigonenhafte Karikatur der Alexandermünze erscheint. Auf der Vorderseite erkennt man einen Zeuskopf mit den Zügen des Antiochus IV., auf der Ruckseite einen thronenden Zeus Nikephoros mit Langszepter und Victoriola, dazu die Inschrift: König Antiochus, siegbringender Gott in Menschengestalt (Theos Epiphanes Nikephoros). Man sieht, der Zeusaltar, den Antiochus im Dezember jenes Jahres im Tempel zu Jerusalem errichten ließ, galt letzten Endes ihm selbst, dem siegreichen König Antiochus Epiphanes, der geschichtlichen Inkarnation des Olympischen Zeus. Man begreift aber auch den Spott, den Polybius (26,10) mit der metaphysischen Selbstbezeichnung des Antiochus trieb: Nicht Epiphanes sollte er heißen, sondern Epimanes, der Rasende, der Amokläufer. Im März 49 schreibt Julius Caesar an seine Freunde: «Das muß die neue Siegestaktik und Sicherheitspolitik sein, daß wir Vergebung üben und eine freie und festliche Welt schaffen» 2). Im Januar 44 beschließt der Senat die Errichtung eines Tempels für die Clementia Caesaris, die Großherzigkeit Caesars. Silbermünzen feiern das symbolhafte Ereignis. Im März 44 wird Caesar von den Männern der Senatsreaktion ermordet. Das römische Volk aber verherrlicht den großen Toten durch eine einzigartige Passionsliturgie, die offenbar im engsten Freundeskreis Caesars entstanden ist, aufgebaut aus den Elementen des altrömischen Beisetzungsrituals, ausgeschmückt mit Motiven der griechischen Tragödie und hellenistischen Mythologie, konzentriert auf das einmalige Wirken, Wollen und Schicksal Julius Caesars, ausgerichtet auf den kommenden Kampf gegen die Caesarmörder, in summa ein erstaunliches Kunstwerk, das in diesen stürmischen Märztagen geschaffen worden ist. Man muß die Details dieser Passionsliturgie (vielfach nur schwerverständliche Andeutungen und indirekte Zeugnisse) aus Appian, Sueton und anderen antiken Autoren mühsam zusammensuchen und nach kritischer Sichtung zusammenfügen 3). So mag es sich erklären, daß das Beisetzungsritual für den Divus Julius bisher weder in der Caesarliteratur noch in der religionsgeschichtlichen Forschung rechte Beachtung gefunden hat. Hier ist noch viel nachzuholen. Wir geben daher versuchsweise eine skizzenhafte Rekonstruktion der ganzen Passionsfeier. Denn diese Feier ist eines der wesentlichsten Ereignisse der neutestamentlichen Zeitgeschichte. Klageritualien für leidende und sterbende Götter hat es im antiken Orient seit jeher gegeben. Hier aber sind jene Passionsgedanken verknüpft mit dem gewaltsamen Tod eines Menschen von Fleisch und Blut, und dieser Mensch ist der kühnste Politiker, den die Antike hervorgebracht hat. Hier wird das politische Evangelium von der Clementia Caesaris zur Passionsklage, diese Passionsklage aber wird zur Anklage und zur Gerichtsbotschaft. Nicht genug, hier sind fünfundsiebzig Jahre vor dem Tode Jesu gewisse Motive vorweggenommen, die später eine große Geschichte haben in der Karfreitagsliturgie der Römischen Messe 4). Man errichtete auf dem Forum ein goldenes Ciborium nach dem Muster des Tempels der Venus Genetrix 5). Darunter ruhte auf purpurbelegtem Elfenbeinbett der größte Sohn der Göttin 6). Ihm zu Häupten ragte ein kreuzförmiges Tropaion, behängt mit den Wahrzeichen seiner Siege und dem Passionsgewand, das von den Dolchstichen der Verschworenen durchlöchert und vom Blute des Ermordeten getränkt war (Sueton 84). Die traditionellen Leichenspiele 7) waren umgestaltet zu einem regelrechten Karfreitagsritual. Bei den Begräbnisfeiern für prominente Römer war es Sitte, daß jemand in der Maske des Verstorbenen auftrat und in dessen Haltung und Redeweise das Wort ergriff 8). Das konnte wohl auch mit Humor geschehen 9). Hier aber geschah es mit tödlichem Ernst. Eine Stimme erhob sich, redete im Namen und Stile Caesars die Mörder an und sprach von den Beneficia, die der Ermordete für sie vollbracht hatte, nannte jeden einzelnen Mörder mit Namen, Mann für Mann, und zählte die rettenden Taten auf, die Caesar für ihn getan hatte, Punkt für Punkt 10). Und die Gegenstrophe antwortete mit einem Wort aus Pacuvius: «So war ich denn der Retter derer, die mich morden sollten» 11). Damit wechselten andere Zitate ähnlichen Sinnes aus der Elektra des Sophokles in der (anscheinend sehr wortgetreuen) lateinischen Ubersetzung des Atilius 12). Sueton berichtet uns leider nicht, welche Sophoklesverse bei jener Trauerfeier gesungen wurden 13). Man mag an den Vers denken, der vom Geiste des ermordeten Agamemnon sagt: «Nun thront er unter der Erde in der Fülle des Lebens» 14). Noch willkommener mochte das Gebetswort sein: «Daß er erscheine aus des Grabes Tiefen, Huldreich, ein Retter vor der Feinde Macht», oder auch der Racheruf: «Höre, des kaum Geschiednen Nemesis» 15). Die Toten sind stärker als die Lebenden. Das ist der unheimliche Gedanke, der seit jenen Tagen die römische Welt bewegte, vielleicht entzündet durch die sophokleischen Chorworte: «Die Flüche kommen zum Ziel. Lebendig sind, die unterm Boden liegen. Es fällt der Mordstreich auf der Mörder Haupt zurück, Geführt von denen, die man einst ermordet hat» 16). Dabei konnte wohl das Bild des Orestes lebendig werden, des rächenden Sohnes aus der Ferne. Am 19. März war Caesars Testament abgekündigt worden, in dem der Diktator den jungen Oktavianus adoptierte und zu seinem Erben einsetzte. Würde er über das Meer (aus Apollonia) herbeieilen, um die Worte des Orestes wahrzumachen? «Wie ich dem Vater Rache könnt erwerben Statt der üblichen laudatio ließ Antonius die Senatsbeschlüsse verlesen, die Caesar mit göttlicher Würde und heiliger Unverletzlichkeit ausgestattet hatten 18), sowie den Treueid, mit dem sämtliche Senatoren sich zum persönlichen Schutze Julius Caesars verpflichtet hatten 19). Dazu machte er zunächst nur ein paar persönliche Zwischenbemerkungen über den Kontrast zwischen Caesars Werk und Schicksal 20), breitete dabei die blutgetränkte Toga aus und zeigte dem Volk das Wachsbild des ermordeten Gottes, die Leidensgestalt mit den dreiundzwanzig Wunden 21). Das ist nicht Werk von Menschenhand, so ruft er aus, das ist Dämonenwerk 22)! Nun erst, so scheint es, hielt AntonIus seine berühmte Leichenrede, die so theologisch einsetzt und so demagogisch endet. Wir greifen aus der Antoniusrede des Dio Cassius, die in der vorliegenden Form viel zu lang 23) und zweifellos ein rhetorisches Elaborat des Autors (Dio) ist, nur einige Leitsätze heraus, die den Geist und Stil der Caesarzeit verraten: «Wenn jemand etwa bisher noch zweifeln mochte, ob Aeneas wirklich ein Sohn Aphrodites gewesen ist, nun wird ers glauben» 24). «Das alles tat er (Caesar) aus angeborener Clementia und nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen, wie so manche anderen Philanthropen» 25). «So echt war seine göttliche Abstammung, daß er nur das Eine Werk verstand: zu retten, wo irgend jemand zu retten war
Sie erhielten Verzeihung, ehe sie noch darum baten, sie wurden gerettet, ehe sie noch um die Gefahr wußten, und er selbst fragte nicht einmal danach, wem er Barmherzigkeit erwiesen hatte» 26). Man sieht, hier ist eine Kaiseraretalogie im Entstehen, die die göttliche Herkunft und Natur Jullus Caesars in seiner verzeihenden Menschlichkeit sich offenbaren sieht, ein «soteriologischer» Gottesbegriff und Gottheitsbeweis! Antonius kommt zum Schluß und Höhepunkt seiner Rede: «Er aber, der Vater des Vaterlandes, Er, der Pontifex Maximus, der Unverletzliche, der Halbgott, der Gott, Er hat den Tod erlitten
geschlachtet im Senatssaal, waffenlos der siegreiche Kriegsherr, wehrlos der Friedenskaiser, im Gerichtssaal der Richter, in der Kabinettssitzung das Staatsoberhaupt
erschlagen von den eigenen Gefährten, Er, der sich immer wieder ihrer erbarmt hatte
Wehe um die blutgefärbten weißen Haare, o über die durchlöcherte Toga, die du nur umgelegt hast, so scheint es, um darin geschlachtet zu werden» 27). Mit Mühe nur hält das Volk an sich, als Antonius das Zeichen zum Letzten Gang gibt: «Nun wollen wir den Heiligen geleiten in die Welt der seligen Geister mit Klageliedern und Hymnen» 28). Ausgesuchte Würdenträger heben das purpurrote Götterbett auf ihre Schultem. Antonius selbst stimmt einen Gotteshymnus auf Caesar an 29) und ein Klagelied auf den emmordeten Freund 30). Die Trauerchöre stimmen ein mit aretalogischen Wechselgesängen auf Caesars Erga und Pathos 31). Und während die Leiche verbrannt wird, wirft das Volk Kleidungsstücke, Waffen~ und Schmuck in das Feuer 32). Dann stürmt die aufgestachelte Menge mit Brandfackeln und Schwertern zu den Häusern der Liberatoren. Die Trauerfeier vom März 44 war zunächst ein persönliches Bekenntnis Mark Antons und seiner Freunde zur Größe, Güte und Leistung Julius Caesars. Sie war zugleich eine hochpolitische Propagandaaktion in einer kritischen Stunde. Aber sie war deshalb so wirksam, weil sie nur dem Ausdruck, Leben und Macht verlieh, was das Volk für den Ermordeten empfand. «Die Clementia ist dem Diktator zum Verhängnis geworden», schrieb Cicero, «seine Großherzigkeit wurde sein Untergang» 33). Der Senat verordnete Staatstrauer, und am lebhaftesten beteiligten sich die Juden, die der Toleranzpolitik Caesars viel zu verdanken hatten. Sie veranstalteten in ihren Synagogen liturgische Trauerversammlungen mit großen Lamentationes und pilgerten viele Tage und Nächte lang zum Grabmal des Ermordeten 34). Die Trauer um Julius Caesar war echt. Und sie war berechtigt. Es ist, um es ganz modern und nüchtern zu sagen, am 15. März 44 eine einmalige Chance verdorben worden. Rom mußte nun ohne Caesar weiterwirtschaften. Caesar aber wurde der König David der römischen Geschichte. Wie in Altisrael einst aus der historischen Gestalt Davids das Bild des endgeschichtlichen Messlas ben David erwuchs, so ging jetzt in Rom aus der geschichtlichen Gestalt Julius Caesars das Wunschbild des Neuen Caesar hervor. In der Ideengeschichte des römischen Messianismus ist Virgil der entscheidende Mann, ist seine Vierte Ekloge das entscheidende Zeugnis. Die sogenannte Vierte Ekloge ist ein Hirtenlied, an dem Virgil vermutlich mehrere Jahre lang gearbeitet hat. Seine endgültige Gestalt aber erhielt es unter dem Eindruck eines politischen Ereignisses. Im Oktober des Jahres 40 ante kam in Brindisi der Friedensvertrag zwischen den rivalisierenden Nachfolgern Caesars zustande, zwischen Antonius und Oktavian. Es war ein Versöhnungswerk im Geiste Julius Caesars, und zur Besiegelung des neuen Bündnisses zwischen den Herren der westlichen und östlichen Welt nahm Antonius die Schwester Oktavians zur Frau, die junge Witwe Oktavia. Die Völker atmeten auf, und in ihren Jubel mischte sich die Stimme Virgils, der das begonnene Hirtenlied nun ausgestaltete zu einem hochzeitlichen Adventsgesang, in dem er mit kühnen Prophetenworten den Anbruch einer neuen Weltzeit verkündigte. Die wichtigsten Verse lauten in deutscher Ubersetzung: Schon zieht der Weltalter letztes herauf nach dem Wort der Sibylle, Eine motivgeschichtliche Analyse dieses seit zweitausend Jahren immer aufs neue interpretierten Liedes könnte wohl zeigen, wie sich hier di mythischen Hoffnungen des Orients mit den Tagesproklamationen der zeitgenössischen Münzprägung und Ideenpolitik zu einer wunderbare Einheit verbinden. Wir müssen darauf verzichten und können hier nur die Eine Frage stellen: Was ist das für ein Wunderkind, das Virgil so verheißungsvoll ankündigt? Es soll noch im Konsulatsjahre Pollios zur Welt kommen, d. h. noch im Jahre des Friedens von Brindisi, 40 vor Christus. Oktavia erwartete noch ein Kind von ihrem verstorbene Gatten. Vielleicht hat Virgil zu Anfang an dieses Kind gedacht. Aber es wurde ein Mädchen (Marcella). Sollte man auf das Kind des Oktavian hoffen, das seine jurge Frau Skribonia von ihrn erwartete? Auch dieses Kind wurde ein Mädchen (Julia). Nun wartete man auf das gemeinsame Kind der neugeschlossenen Ehe zwischen Antonius und Oktavia, zwischen 0st und West. Es wurde wieder ein Mädchen, Antonia. Man muß das einmal so aussprechen. Denn es ist wie eine Ironie der Geschichte; es ist, als ob der Herr der Geschichte sein zorniges und hohnvolles Spiel treiben möchte mit dem Volk der Caesarmörder, mit seinen Messiasideen und Heilszeithoffnungen. Dominus subsannabit eos, sagt die Vulgata. Die Geschichte ist Gottes Possenspiel, sagt Luther im Geist von Psalm 2. Virgils Vierte Ekloge ist durch diese realgeschichtlichen Korrekture nicht erledigt worden. Sie ist auch nicht dadurch erledigt worden, daß die erhoffte Weltfriedenszeit zunächst ausblieb. Aber die ersten überschwenglichen Adventshoffnungen sind in diesen Jahren langsam erloschen und machten einer neuen und realistischeren Hoffnung Platz, die sich mehr und mehr auf den jungen Staatsmann konzentrierte, der jetzt am Werke war, Friede, Ordnung und Wohlstand zu schaffen in der westlichen Welt auf Oktavian. Noch im Jahre 40 besuchte Oktavian die gallischen Provinzen, die sein Vater Caesar erobert hatte «Friedenskönig des Reichs, das die Kraft des Vaters gebaut hat» (Virgil, Ekloge 4,17). Zur Feier diese Ereignisses erschienen in Lyon, Vienna und anderwärts große Bronzemünzen mit dem janusartigen Doppelbildnis Caesars und Oktavians und der Doppelinschrift: Divus Julius und Divi Filius. Auf der Rückseit sieht man das Adventsschiff des paradiesischen Urkönigs Saturn, darüber zumeist einen Wunderstern. Januskopf und Schiffsbug waren seit Jahrhunderten die traditionellen Münzbilder der römischen Reichskupferprägung. Hier aber handelt es sich nicht um römische Reichsmünzen, sondern um gallische Kolonialmünzen, und hier sind die altüberlieferten Münzbilder durch vielsagende kleine Modifikationen umgestaltet zu höchst aktuellen Ehrenkundgebungen für den hohen Adventsgast aus der Reichshauptstadt. Wie der doppelgesichtige Janus schaffend, schützend und segnend über dem Anfang des Tages, des Jahres und jedes großen Unternehmens steht, so steht die Doppelgestalt des himmlischen und irdischen Caesar nun über dem Anfang des Neuen Äons «und von neuem beginnt der Jahrhunderte mächtiger Kreislauf». Und wie der Saatgott Saturnus einst zu Schiff in Italien ankam und dort das Goldene Zeitalter heraufführte, so kam jetzt Oktavian nach Gallien und brachte Glück und Gedeihen redeunt Saturnia regna. Auch das Wundergestirn über dem Adventsschiff gewinnt in diesem symbolsprachlichen Kontext eine vertiefte Bedeutung. Ist es der Planet Saturn? Ist es die Sonne, die im Mai 44 mit einem leuchtenden Hof den Adventus Oktavians in Rom verklärt hatte (s. Vell Paterc 2,59,5f)? Ist es das Sidus Julium vom Juli 44, das man seit 41 als Stern des Segens interpretierte? Jedenfalls, es ist der Adventsstern, der das Adventsschiff geleitet und die große Zeitwende anzeigt: «Sieh, wie alles sich freut des kommenden Weltenjahrhunderts.» Anno 29 ante hat der römische Senat den vierunddreißigjährige Oktavian in die Liste der Nationalgötter aufgenommen, die von den vornehmsten Priestern Roms mit uralten Hymnen und Gebeten besungen wurden 35). Zwei Jahre später hat man ihm den Würdenamen Augustus verliehen, griechisch Sebastos, auf deutsch: Der Anbetungswürdige. Und in der Aeneis (6,791 ff) erhebt Virgil noch einmal seine Stimme und erklärt vor aller Welt: Er ist es, der da kommen soll. Die Hoffnungen der Jahrtausende, die Prophetenworte der Vierten Ekloge Augustus hat sie erfüllt. Aus dem antiken Messiaspropheten Virgil ist der römische Messiasapostel geworden: «Dies ist der Mann, dies ist er, der längst den Vätern Verheißne, So hat Virgil selber das Schlußwort zu den offenen Fragen seines bukolischen Adventsliedes gesprochen in einem Augustusbekenntnis, in dem die kosmischen Zukunftsbilder der Vierten Ekloge realpolitisch historisiert und die politischen Ereignisse der Gegenwart mythisch glorifiziert sind, beides in einem. Die Ursprünge der römischen Kaisermetaphysik liegen im Orient. Es ist darum nur natürlich, daß die römische Hoftheologie im Osten des Reiches allezeit ein enthusiastisches, vielfach noch potenziertes Echo gefunden hat gewiß nicht bei den großen Nationen, die mit Rom im Kriege lagen, umso mehr aber bei den Verwaltungschefs, den Reichsstädten und den kleinen Vasallenfürsten, deren politische Existenz und Zukunft von der Gnade der Reichsregierung abhing. Das gilt in einen ganz besonderen Sinne und Maße von Herodes, dem König der Juden. Als Oktavian im Jahre 27 den Würdenamen Augustus (Sebastos) erhielt, taufte Herodes die Stadt Samaria in Sebaste um und errichtete dort unter vielen anderen Prachtbauten einen Augustustempel, dessen riesenhafter Altar noch erhalten ist. Auch eine Augustusstatue hat sich bei den amerikanischen Ausgrabungen gefunden. Anno 22 begann Herodes mit den Bauarbeiten für seine neue Hafenstadt am Mittelmeer, die zu Ehren des Caesar Augustus den Namen Caesarea erhielt. Zum Gedächtnis der Orientreise des Kaisers und seines diplomatischen Parthersieges baute Herodes im Spätherbst des Jahres 20 nördlich vom See Genezareth eine Augustuskapelle, die wir aus späteren Münzbildern kennen. Das Theater in Jerusalem schmückte Herodes ringsum mit goldenen Inschriften, die die Großtaten des Kaisers verherrlichten (Jos Ant 15,8,1,272). Die amtliche Grundlage für diese Inschriften lieferte vermutlich das Memoirenwerk, das der Kaiser selber um das Jahr 24 herausgegeben hat (vgl. Sueton, Aug 85). Auf derselben Grundlage ruht allem Anschein nach auch die panegyrische Kaiserbiographie, die Nikolaus Damascenus, der Kanzler und Hofhistoriker des Herodes, in den Jahren 23/21 verfaßt hat. Es ist gewissermaßen der offizielle Kommentar zu den verlorenen Kaiserinschriften des Jerusalemer Theaters, der uns in diesem wenigstens teilweise erhaltenen Bios Kaisaros vorliegt 36). Wir zitieren aus dem Prolog: «Die Menschen haben diesem Manne den Ehrennamen Augustus beigelegt und verehren ihn durch Tempel und Opfer hin und her in den Städten und Nationen, auf Inseln und Kontinenten, zum Dank für sein großartiges Lebenswerk und die Segenstaten, die er an ihnen vollbracht hat. Denn er ist der Mann, der den Gipfelpunkt menschlicher Macht und Weisheit erreicht hat. Er hat die größte Völkerschar, von der die Geschichte weiß, unter seiner Herrschaft vereinigt. Unter ihm haben die Grenzen des römischen Reiches ihre größte Ausdehnung erlangt. Er hat nicht nur die Völker, sondern auch die Herzen der Hellenen und Barbaren ein für allemal gewonnen, zunächst mit der Waffe in der Hand, dann aber ganz ohne Waffengewalt. Stämme, die zuvor kein Mensch auch nur dem Namen nach kannte, hat er zu Kulturvölkern erzogen. Nationen, die seit Menschengedenken keinen Herrn über sich duldeten, leisten ihm freiwillig Gefolgschaft um der gütigen Menschlichkeit willen, die sich immer leuchtender in ihm offenbart.» Das Büchlein liest sich streckenweise wie ein Evangelientext. Wir hören von dem zwölfjährigen Wunderkind, von den Versuchungen, die der Jüngling bestanden hat, von dem Versöhnungswerk des göttlichen Vaters und dem Gericht, das der Sohn im Namen des Ermordeten über die undankbare Welt bringt. Gegen Wunderzeichen und Mirakelschmuck zeigt die Darstellung eine bemerkenswerte Zurückhaltung, die umso auffälliger ist, als das Memoirenwerk des Augustus auf solche Dinge nachweislich Wert gelegt hat. Es herrscht hier bei aller Verherrlichung des Menschen und Staatsmannes Augustus eine betont antimetaphysische Grundhaltung. In der persönlichen Mentalität des Nikolaus Damascenus ist der Grund für diese Zurückhaltung schwerlich zu suchen. Denn sein Landsmann und Zeitgenosse, der Syrer Julius Marathus, der damals der Hofchronist des Kaisers und wohl auch bei der Redaktion der kaiserlichen Selbstbiographie beteiligt war, hat eine unverkennbare Vorliebe für Wunder und Zeichen. So ist die antimetaphysische Haltung des östlichen Bios Kaisaros höchstwahrscheinlich durch die Rücksicht auf die jüdische Umwelt diktiert und beweist, daß die Augustusvita des herodianischen Hofchronisten in besonderer Weise für jüdische Leser zugeschnitten war. Dazu stimmt die zentrale Stellung die die Gestalt Julius Caesars in dem uns erhaltenen ersten Teil des Buches einnimmt, und der warmherzige und zugleich glorifizierende Ton, mit dem Nikolaus von diesem in der Palästinajudenschaft immer besonders populären Manne spricht. Höhepunkt, wenn Nikolaus beschreibt, wie der verstümmelte Leichnam des Ermordeten von drei treugebliebenen Sklaven über das Forum getragen wird; die zerfetzte Toga ist da und dort zurückgeschlagen, die Hände hängen leblos herab, das Antlitz ist von Stichwunden entstellt. Das ist eine Pietà im Geist der Passionsliturgie des Jahres 44, passio humana und mehr: «Da blieb kein Auge ohne Tränen, wenn es ihn sah, der zuvor einem Gotte gleich (isa theou) geehrt worden war» (26,97). Und wie eine Ahnung und Drohung kommt es über die Liberatoren, «es werde der ermordete Caesar seinen Mördern und ihrer Partei noch viel Not bereiten, da große Armeen aufmarschierten und entschlossene Männer gegen sie aufstanden» (27,105). Mit den Parteikämpfen nach Caesars Ermordung brechen die uns bekannten Fragmente ab. Der Hauptteil des Buches ist verloren. Aber schon der erhaltene Torso ist kostbar genug, als Quelle für die Rekonstruktion der Augusteischen Autobiographie wie als Testimonium für die Interpretatio Herodiana der kaiserlichen Selbstdarstellung. Man hat das Studium dieses einzigartigen Textes viel zu sehr vernachlässigt. Es ist immerhin das amtliche Evangelienbuch des Königs Herodes. Im Januar des Jahres 9 ante wurde in Rom die Ara Pacis Augustae geweiht. Noch im gleichen Jahre ging der Konsular Paulus Fabius Maximus, ein Hocharistokrat aus dem engsten Freundeskreis des Augustus, mit einem Personaldispens und besonderen kaiserlichen Gnadenbriefen nach dem Osten, um die Regierung der Provinz Asia anzutreten, das vornehmste und begehrteste Statthalteramt des Imperiums. Um sich für diese Auszeichnung dankbar zu erweisen, suchte er nach neuen Wegen zur Ehrung des Kaisers und fand sie durch die Entdeckung, daß der kleinasiatische Neujahrstag, der auf das Herbstaequinoktium fiel, ganz dicht bei dem Geburtstag seines hohen Gönners lag. So stellte er denn an das Commune Asiae den Antrag, eine kleine Kalenderreform vorzunehmen und den 23. September zum Anfangstag des Jahres zu deklarieren. Und er verdiente sich durch diesen ingeniösen Einfall noch obendrein einen Ehrenkranz, den die getreue Provinz Asia für den besten Vorschlag im kaisertheologischen Ideenwettbewerb ausgesetzt hatte. Der Antrag ist uns (in der sogenannten Evangelieninschrift von Priene und anderen epigraphischen Zeugnissen) größtenteils erhalten und ebenso der entsprechende Landtagsbeschluß amtliche Originaldokumente von unschätzbarem Wert, rechtsgeschichtlich, weil man hier einen paradigmatischen Eindruck davon empfängt, worin die «politische» Selbstverwaltungstätigkeit der Provinziallandtage in den Tagen des Augustus bestand, religionsgeschichtlich, weil hier zum ersten Mal der Begriff Evangelium für die Feier der kaiserlichen Epiphaniefeste gebraucht wird. Wir geben den Antrag des Statthalters im Kurzreferat, den Beschluß des Landtags im Auszug: Fabius Maximus nennt gleich in den ersten Zeilen seines Antrags den Geburtstag des Allergöttlichsten Kaisers den Anfang aller Dinge, nicht zwar im kosmologischen, wohl aber im soteriologischen Sinne. Denn der Kaiser habe die heillos zerrüttete Gestalt dieser Welt wiederhergestellt, habe den Kosmos vor dem Verderben gerettet und ihm ein neues Gesicht gegeben. Seine Epiphanie bedeute darum auch für jeden Einzelnen den Anfangspunkt eines neuen Lebens (bios und zoe!) und das Ende der Klage: O wäre ich nie geboren! So habe denn kein Tag so viel Heil in das öffentliche und private Leben gebracht wie der Geburtstag des Kaisers Augustus. Nun aber falle der Anfang des Jahres und Antrittstermin der Verwaltungsämter fast auf denselben Tag, an dem der Kaiser geboren sei, und das hätten die Götter (die lateinische Textform spricht hier freilich nur von einem bedeutungsvollen Zufall) offenkundig so eingerichtet, um eine Anregung zur Ehrung des Augustus zu geben, zumal es schon schwierig genug sei, ihm für seine großen Segenstaten in entsprechender Weise zu danken, wenn man nicht jede Möglichkeit auskaufe, um eine neuartige Huldigung zu erdenken (Lateintext: nisi omnis pietatis temptetur materia). Darum schlage er vor, den Geburtstag des Allergöttlichsten Kaisers, nämlich den 23. September, zum Jahresanfang zu deklarieren und an diesem Tage alle Jahrämter anzutreten. Der Landtag von Asia wolle ein entsprechendes Gesetz unter Würdigung der Leistungen des Kaisers inschriftlich niederlegen lassen, damit die beschlossene Ehrung des Augustus für alle Ewigkeit gelte. Der Beschluß des Landtags hat folgenden Wortlaut: «Beschluß der Griechischen Bürger der Provinz Asia auf Antrag des Hochpriesters Apollonios, des Sohnes des Menaphilos aus Azanoi. Die Vorsehung, die alles in unserem Leben ordnet, hat in Fürsorge und Großmut unser Dasein mit dem höchsten Schmucke gekrönt, da sie Augustus hervorbrachte, den sie mit Heldentugend zum Segen der Menschheit erfüllte, den sie uns und denen, die nach uns kommen, sandte als Heiland, dem Krieg ein Ende zu machen und dem All seine Ordnung zu geben. Die Epiphanie des Kaisers hat die Hoffnungen (und Gebete) der Vorzeit überschwenglich erfüllt. Denn er hat nicht nur die Segensbringer, die vor ihm waren, in den Schatten gestellt, sondern auch den kommenden alle Aussicht genommen, ihn zu übertreffen. Für den Kosmos aber begann mit dem Geburtstag des Gottes (Augustus) die Reihe der Evangelienfeste, die ihm zu Ehren gefeiert werden. Es hat aber der Landtag von Asia in seiner Sitzung zu Smyrna unter Lucius Volcacius Tullus und dem Kanzler Papias beschlossen, einen Kranz auszusetzen für den, der die höchsten Ehrungen für den Gott (Augustus) ausfindig mache. Paulus Fabius Maximus, der Prokonsul der Provinz, abgesandt vom Kaiser selbst mit persönlichem Auftrag, hat mit zahllosen Segenstaten zum Segen der Provinz gewirkt und zur Ehrung des Augustus etwas ausfindig gemacht, was bis dahin noch keinem Griechischen Bürger in den Sinn gekommen war, dies nämlich, daß mit dem Geburtstag des Kaisers die eigentliche Lebenszeit (der römischen Menschheit) beginne. So möge denn den Griechischen Bürgern der Provinz Asla der Beschluß zum Segen und Heil gedeihen, daß alle Freien Reichsstädte das Neue Jahr am 23. September, dem Geburtstag des Augustus, beginnen
daß aber der seinerzeit beschlossene Kranz für die Ausfindigmachung der höchsten Kaiserehrungen dem Prokonsul Maximus zugesprochen werde. Und es soll jedesmal bei dem gymnischen Wettkampf im Rahmen der Römischen Augustusspiele zu Pergamon verkündet werden, daß Asia den Paulus Fabius Maximus mit dem Kranze krönt dafür, daß er die frommsten Kaiserehrungen äusfindig gemacht hat. Die gleiche Abkündigung soll erfolgen bei den Wettkämpfen im Rahmen der verschiedenen reichsstädtischen Kaiserspiele. Es soll aber das Antragsschreiben des Prokonsuls und der Landtagsbeschluß der Provinz Asia inschriftlich festgehalten werden auf einem Marmorpfeiler, der im Heiligtum Romae et Augusti (zu Pergamon) aufzustellen ist» 37). Man ist vielleicht ein wenig ernüchtert, wenn man aus diesen Aktenstücken ersieht, wie die sebastologischen Ehrenbeschlüsse jener Tage zustande kamen, und man wehrt sich zunächst gegen die großen Worte die dabei herauskommen, denkt wohl auch gelegentlich an die geschäftlichen Ziele, die die gesinnungstüchtigen anatolischen Handelsherren mit ihren verschwenderischen Elogien verfolgten. Aber eine Marmorstele ist in der Stadt des Pergamonaltars eine recht bescheidene Ehrung. Und auch die Formulierung der Ehrenbeschlüsse ist im Grunde erstaunlich zurückhaltend. Man war in Kleinasien seit sechshundert Jahren mehr gewohnt, und Schmuckworte wie Der Allergöttlichste gehörten selbst bei den Duodezfürsten dort zum hoftheologischen Dekorationsminimum. Es kann kein Zweifel sein, daß der Antrag des Fabius Maximus in engster Fühlungnahme mit der Reichskanzlei entworfen ist und den maßvollen und mäßigenden Einfluß des Augustus bis in die Formulierung hinein verrät. Zwei Jahre danach erreicht Augustus den Kulminationspunkt seiner Laufbahn. Im Januar des Jahres 7 ante feiert der Kaisersohn Tiberius seinen Sieg über die Nordvölker. Ein römisches Triumphalrelief aus dem Jahre 7 ante verherrlicht diese majestätische Ouvertüre eines einzigartigen Jahres. Es ist uns in einer verkleinerten Wiedergabe erhalten, die aus einer alexandrinischen Werkstatt stammen dürfte und heute in Wien liegt. Augustus thront in olympischer Gewandung und Haltung neben der Göttin Roma, in der Linken das göttliche Langszepter, in der Rechten den Lituus (Krummstab). Ihm zu Füßen sitzt der Zeusadler, hinter ihm steht die Oikumene (Repräsentantin der Völkerwelt), die ihm den Eichenkranz des Zeus aufs Haupt setzt, der zugleich den Dank für das weltgeschichtliche Rettungswerk des Kaisers symbolisiert (Ob cives servatos!). Vor dem thronenden Kaiser steigt Tiberius vom Triumphwagen herab. Unter dem Kaiserthron sieht man auf einem schmaleren Bildstreifen, wie ein römisches Siegeszeichen über gefangenen Germanen aufgerichtet wird. Der Sinn der Darstellung ist klar: Augustus ist die geschichtliche Erscheinungsform des olympischen Zeus, er hat dem Erdkreis Frieden und Sicherheit gebracht, Segen und Heil. Den gleichen Sinn hat eine Augustusinschrift, die ein vornehmer Alexandriner am 8. März des gleichen Jahres im Isistempel der Nilinsel Philae errichtet hat: «Ihm, der über die Meere und Kontinente gebietet, Der Hinweis auf Isis und Alexander ist gewiß nicht zufallig. Denn Augustus gilt als der weltpolitische Testamentsvollstrecker Alexanders des Großen und ist zugleich der Erbe Julius Caesars, der die Göttin Venus (= Aphrodite = Isis) als die Stammutter seines Hauses betrachtet hat. In summa: Die Weltgeschichte ist am Ziel. Das ist die politische Adventsbotschaft jenes Jahres. Zwanzig Jahre später starb der Kaiser (19. 8. 14 post). Es ist völlig unmöglich, all die überschwenglichen Kaiserdogmen und Kaiserkulte mit denen man den verstorbenen Augustus hin und her im Reiche glorifiziert hat, auch nur aufzuzählen. Hier soll nur Ein Dokument zu Worte kommen, ein Gegenstück zu der polytheistischen Evangelieninschrift von Priene und dem mythologischen Huldigungsepigramm von Philae, ein Seitenstück zu dem politischen Evangelienbuch des Nikolaus Damascenus. Denn auch hier handelt es sich um ein Dokoment aus jüdischer Umwelt, das sich von aller polytheistischen Hofmythologie fernhält und eben darum bezeugt, wie ernsthafte Männer im Ernst über das Lebenswerk des Augustus dachten. Es ist der Augustushymnus, den Philon Alexandrinus (in Legatio 21) auszugsweise zitiert, vermutlich ein jüdisches Enkomion aus der alexandrinischen Totenliturgie für den Divus Augustus, jedenfalls erst nach seinem Tode geschaffen 39). Das philonische Fragment lautet in deutscher Ubersetzung: «Der die menschliche Natur übertraf in jeglicher Tüchtigkeit, Der Stiefsohn und Nachfolger des Augustus, Tiberius Claudius Nero, stammte aus einer uralten und hochfahrenden Patrizierfamilie und hatte eine herzliche Antipathie gegen die moderne und unrömische Hoftheologie. Auf seinen silbernen Reichsmünzen nannte er sich ganz bescheiden Tiberius Caesar Divi Augusti Filius Augustus, das heißt auf Deutsch: Kaiser Tiberius, anbetungswürdiger Sohn des anbetungswürdigen Gottes. In der Großplastik ließ er sich meist als Zeus darstellen mit Langszepter und Eichenkranz. Im übrigen hatte er eine Vorliebe für den heiligen Krummstab des Romulus, der schon in der Augusteischen Reichskunst und Münzprägung eine bedeutsame Rolle gespielt hatte. Wir erinnern nur an die Gemma Augustea in Wien. Eine thematische Abwandlung jener Gemme ist der große Tiberiuskameo der Bibliothèque Nationale in Paris, der vermutlich aus dem Todesjahr des Tiberius stammt. Hier sitzt Tiberius auf dem Götterthron, vor ihm der junge Caligula, unter ihm gefangene Parther, über ihm Alexander mit dem Erdglobus und der verklärte Augustus. In der rechten Hand des Tiberius aber erkennt man den traditionellen Lituus, das sakrale Majestätssymbol und Wahrzeichen des Sacrum Imperium. Es ist derselbe Lituus, den Pilatus auf seine Kupfermünzen gesetzt hat (s. o. S. 17f) als eine Huldigung für Tiberius und eine Beleidigung des jüdischen Monotheismus. Im übrigen ist der Pariser Kameo ein erschütterndes Beispiel dafür, wie rasch und unerbittlich das politische Evangelium zur Schablone wird, zur höfischen Farce und Phrase. Einst hat Virgil den Adventus des großen Augustus mit den enthusiastischen Hexametern verherrlicht: Dies ist der Mann, dies ist er, der längst den Vätern Verheißne, Fünfzig Jahre später aber hat man auf seinen Nachfolger Tiberius (trotz Lituus und Juppiterszepter!) die Verse gedichtet (s. Sueton, Tib. 59): Kaiser, du hast das Goldene Zeitalter gründlich verwandelt, Die Geschichte sorgt dafür, daß die politische Adventsbotschaft sich je und je selbst relativiert und ad absurdum führt. Im Herbst 66 tritt Nero seine große Theaterreise nach Griechenland an. Anno 67 trifft er in Korinth ein. Zur Verherrlichung und Verewigung des großen Ereignisses erscheint in Korinth eine Bronzemünze, auf der Vorderseite den Kopf des jungen Kaisers zeigt, bekränzt m dem Lorbeer Apollons. Auf der Rückseite erkennt man das Flaggschiff Neros und dazu die Umschrift: Adventus Augusti, Ankunft des Anbetungswürdigen. Man kennt das Bild des Adventsschiffes aus den gallischen Münzen des Jahres 40 (s. o. S. 26) und den Terminus Adventus aus den Augustusversen der Aeneis (s. o. S. 27). Hier aber ist beides vereinigt, Adventsbild und Adventslegende, hier haben wir die erste antike Münze mit der Aufschrift Adventus Augusti vor uns, die erste von vielen Dutzenden. Der Sinn dieser Münzprägung ist klar: Zu Schiff ist einst Apollon nach Griechenland gekommen. Zu Schiff hält jetzt der junge Kaiser seinen Einzug in Korinth, um sich dort als fleischgewordener Apollon feiern zu lassen. Und in der Tat, an Fleisch hat es ihm nicht gefehlt. Anfang 68 kehrt Nero von seinen griechischen Theatersiegen nach Rom zurück und wird dort mit einem graziösen Adventskarneval empfangen. Man schmückt die Stadt mit Blumengewinden und Fackeln, schlachtet Opfertiere, sprengt Krokusparfum, streut Bonbons und wirft Seidenbänder in die Luft wie Papierschlangen (Dio 63, 2O, 5). Einige Monate später wird Nero zum Staatsfeind erklärt, muß aus der Reichshauptstadt fliehen und macht seinem Götterleben durch Selbstmord ein Ende (9. Juni 68). Im Mai 69 zieht Vitellius durch die Poebene. Auf dem Schlachtfeld von Betriacum liegen die zerrissenen Soldatenleichen und Pferdekadaver, Verwesungsgeruch überall, geknickte Bäume, zerstampfte Saaten. Mitten hindurch aber reitet der künftige Kaiser auf der Straße nach Cremona, die mit Lorbeerzweigen und Rosen bestreut ist, umsäumt von Altären und Opfertieren (Tacitus, Hist 2,70). Im Juli 69 zieht Vitellius in Rom ein und begibt sich zum Kapitol, voran die Adler und Signa, hinter ihm die Offiziere in weißer Gewandung an der Spitze ihrer Truppenteile, jedermann in Paradeuniform mit allen Auszeichnungen (Tac Hist 2,89). Im Dezember 69 wird Vitellius in Rom auf der Straße erschlagen. Unterdessen hat T. Flavius Vespasianus sich im Osten zum Imperator ausrufen lassen, und schon feiern die Griechenstädte des Orients mit den üblichen Opferriten und Epiphanieproklamationen die Evangelienfeste zur Verherrlichung des neuen Machthabers (Jos Bell 4, 10, 6, 618). Im Anfang des Jahres 70 hält Vespaslan seinen Einzug in Alexandrien. Der Nil steigt extrahoch zu seinem Empfang, und der neue Kaiser heilt Blinde und Lahme (Tac Hist 4, 81). Im August des gleichen Jahres erobert der Kronprinz Titus die Stadt Jerusalem. Zwei Monate später veranstaltet Vespasian seinen offiziellen Einzug in Rom, und wieder einmal feiert die Reichshauptstadt einen Kaiseradvent. Wir haben darüber einen denkwürdigen, noch viel zu wenig beachteten Bericht aus der Feder des jüdischen Kaiserpropheten Josephus: «Die Würdenträger der Reichshauptstadt eilten ihm bis weit vor die Tore zum Empfang entgegen. Aber auch von der sonstigen Bevölkerung konnte keiner mehr die Begegnung erwarten, sondern sie zogen in solchen Massen hinaus, daß
die Zahl der Zurückbleibenden geringer war als die Zahl der Hinausziehenden. Als aber sein Nahen verkündigt wurde und die Vorausgeeilten die Freundlichkeit rühmten, mit der er jedermann begegne, da sammelte sich die ganze übrige Bevölkerung samt Frauen und Kindern an den Durchgangsstraßen, um ihn zu erwarten, und wo er vorüberkam, da brach man aus Begeisterung über seinen Anblick und seine gewinnenden Züge in die verschiedensten Akklamationen aus und begrüßte ihn als den Segensstifter und Retter Roms: <Du allein bist würdig zu empfangen das Imperium>. Die ganze Stadt aber war von Girlanden und Weihrauch erfüllt wie ein Tempel. Mit Mühe drängte sich Vespasian durch die Massen bindurch in den Palast, wo er sogleich den Hausgöttern Dankopfer darbrachte für seinen glücklichen Advent.
Das Volk aber feierte Opferfeste und Opferschmäuse, und für Rom begann eine neue Segenszeit» 40). Josephus hat das Ende der neuen Segenszeit noch erlebt. Anno 81 kam der zweite Sohn Vespasians auf den Thron, der junge Domitian. Er hat das Seine dazu getan, die römische Kaisermetaphysik bis zum Exzeß in die Höhe zu treiben und sie zugleich durch seine Regierungspraxis zu sabotieren. Wir zitieren hier nur einige Verse der beiden Hofdichter Martial und Statius, die in der Geschichte der römischen Messiasidee eine besondere Stellung einnehmen, weil sie mit Virgilischen Formeln und Motiven aufgeputzt sind und eben dadurch die unaufhaltsame Paralyse aller Werte und Wahrheiten erschütternd bezeugen. Ein Adventsgebet Martials (8,21) ruft den Kaiser herbei als den Himmlischen Morgenstern, der alle Angst und Finsternis vertreibt: «Morgenstern, bringe den Tag, Der Kaiser erscheint, und Statius (4,3,129f) singt: «Siehe, da ist Gott, Auch die Tiere huldigen der göttlichen Majestät des Kaisers, so versichert Martial (1,17ff). Der Elefant erkennt seinen Herrn und betet ihn an. Die arkadische Urzeit kehrt wieder. Hasen spielen im Rachen des Löwen, der von seinem Kaiser die höchste Herrschertugend gelernt hat, die Barmherzigkeit. Es ist wie ein Hohn auf den größten Gedanken des größten Römers, auf die Clementia Caesaris. Die gehetzte Antilope flüchtet sich schutzsuchend zum Kaiser. Die Bäume selbst wachsen wie nie zuvor. Die Vögel sitzen auf den Zweigen und rufen: Ave Caesar! (Martial meint die dressierten Papageien des Kaisers.) Die Kaiserin erwartet ein Kind und schon feiert Martial (6,3) den Kaiser als den Göttervater (genitor deorum) und verherrlicht das komrnende Kaiserkind in einem Gebet, das die Adventsmotive aus der Vierten Ekloge und der Aeneis in sich vereinigt: «Komme zur Welt, der du bist den Vätern vor Zeiten verheißen, Das ist schon kein Byzantinismus mehr, das ist Blasphemie. Die Geschichte der römischen Messiasidee, die mit Caesar und Virgil so groß begonnen hat, hier endet sie in einer verlogenen Hoftheologie, die Gott und sich selbst nicht mehr ernst nimmt. Die Geschichte hat auf dieses zynische Adventsgebet in ihrer Weise geantwortet: Das kaiserliche Wunderkind ist niemals zur Welt gekommen. Domitian aber wurde einige Jahre später ermordet. Im Jahre 106 siegt Trajan über die rebellischen Daker. Der besiegte König Dekabalus endet durch Selbstmord. Anno 107 feiert Trajan in Rom seinen Advent und Triumph. Das anschließende Siegesfest dauert genau vier Monate lang. Das Volk der Reichshauptstadt erbaut sich an blutigen Kampfspielen (10000 Gladiatoren kommen um) und erregenden Tierhetzen (Ignatius von Antiochien stirbt den Märtyrertod). Rund zehn Jahre später errichtet man in Benevent den Triumphbogen Trajans, der heute noch steht. Zwei Triumphalreliefs dieses Bogens verherrlichen die Adventsfeiern des Jahres 107 in mythologischer Form: Juppiter selbst erscheint mit seinem olympischen Göttergefolge zum Staatsempfang. Man erkennt die Göttin Roma, die kaiserlichen Hausgötter und eine Deputation von Senatoren. Juppiter aber überreicht dem siegreichen Kaiser das Blitzbündel das gleiche Symbol olympischer Majestät, das Alexander der Große auf der Siegesmünze von 324 in der Hand hält. Trajans Nachfolger ist ein Reisekaiser. Hadrian hat in den Jahren 120/132 zwei große Reisen durch die Provinzen seines Weltreiches unternommen, und in allen Metropolen seines Imperiums hat man ihn mit dem vorschriftsmäßigen Adventszeremoniell empfangen. Zum Gedächtnis dieser Reisen und Adventsfeiern hat der Senat der Reichshauptstadt um 137 post eine lange Serie von Bronzemedaillons herausgebracht, die glanzvollste Dokumentation der römischen Adventsmetaphysik, die man sich denken kann. Auf all diesen Münzen sieht man den Kaiser, begrüßt von einer opfernden oder knieenden Frauengestalt, in der sich die Provinz verkörpert, die den ankommenden Kaiser empfängt. Dazu die Umschrift Adventus Augusti und der Name der Provinz, Africa, Arabia, Hispania u. a. m. Etwa fünfzehn Provinzen werden in dieser Weise dargestellt. Auch Judäa ist darunter. Damit aber hat es eine eigene und peinliche Bewandtnis. Wir werden noch davon zu sprechen haben. Die Geschichte der antiken Adventsmetaphysik gleicht der Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern (Andersen). Keiner sieht die Wunderkleider, die der Kaiser heute trägt, aber jeder rühmt sie bis ein kleines Kind es ausspricht: Er hat ja garnichts an! Es hat in der römischen Welt nie an Kritikern gefehlt, die sich über das kaiserliche Adventszeremoniell lustig machten. Aber am grundsätzlichsten hat das monotheistische Judentum gegen diesen Adventsspuk polemisiert. Wir zitieren hier nur einen Kampftext aus der Zeit Hadrians, in dem die ideologische Antithetik Jerusalem/Rom in letzter Schärfe zur Geltung kommt: «Der Herr ist würdig zu empfangen Ruhm und Kraft und Herrlichkeit und Sieg und Herrschaft. Wenn ein König von Fleisch und Blut seinen Einzug hält in eine Stadt, so rühmen alle vor ihm her: Stark ist er. Aber er ist schwach. Reich ist er. Aber er ist arm. Weise ist er Aber er ist ein Narr. Barmherzig ist er. Aber er ist grausam. Gerecht und getreu ist er. Aber nichts ist an ihm von allen diesen Heldentugenden. Sondern alle schmeicheln ihm. Nicht so Er, der da sprach und es ward die Welt. Was immer man an ihm rühmen mag Er ist mehr als sein Ruhm» 41). ____________ ANMERKUNGEN [von Ethelbert Stauffer] 1) s. Stauffer, Die Londoner Dekadrachme von 324 und die Ideenpolitik Alexanders, Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte II (1950/51) S. 132f. 2) Haec nova sit ratio vincendi, ut misericordia et liberalitate nos muniamus, Cicero, Ad Atticum 9,7 C. 3) Hauptquellen: Sueton, Divus Julius 84, und Appian, Bellum Civile 2,145ff. Plutarch bietet garnichts, und Dio Cassius 44,36ff hat alle Motive der Passionsliturgie in die frei komponierte Antoniusrede eingearbeitet. Shakespeare folgt hauptsächlich Plutarch. 4) s. die Improperien in Schotts Röm. Meßbuch und die Summarientexte bei Stauffer, Theologie des NT (5. Aufl.) S. 325. Dazu die Artikel «Improperien» bei Cabrol-Leclerq Dict. Arch. Lit. VII p. 471ff und Buchberger, Lexikon Theol. Kirche V. Die älteste Spur dieser antithet. Summarien ist 4 Esra 1 (Vulgata) = 5. Esra, nach üblicher Datierung um 100 p. C. entstanden, wohl ältere Vorlagen verarbeitend. Die ältesten Spuren liturgischer Verwendung weisen nach Jerusalem und Syrien, 4. Jh. p. C. Die Spätdatierungen bei Labourt, Le cinquieme livre d'Esdras, Revue Biblique (1909) p. 412ff können nicht überzeugen. Die Verwandtschaft zwischen der Passionsliturgie Caesars und Christi kann wohl nur aus gemeinsamen östlichen Vorbildern erklärt werden. 5) Sueton, Julius 84. Über den Tempelgiebel an Caesars Wohnhaus (Sueton, Julius 81), das Ciborium über dem Thronsitz der späteren Caesaren und den Baldachin über dem Corpus Christi in unseren Domen s. A. Alföldi, Insignien und Tracht der Röm. Kaiser, Röm. Mitteilungen 50 (1935) S.128 ff. Der Tempelbaldachin über dem Heiligen Leichnam Caesars ist dort nicht behandelt. Er ist vielleicht durch den Tempelbaldachin des toten Osiris angeregt und für die Vorgeschichte und Interpretation des Christusciboriums gewiß nicht ohne Bedeutung. Ähnliche Baldachine für prominente Tote bei Leipoldt, Bilderatlas, Umwelt (1926) Abb. 8; Bonnet, Bilderatlas, Ägypten (1924) Abb. 47; 6) Cf. Antonius bei Dio Cassius 44,37,4: (Font Graeca:) w{stæ eij kaiv ti" hjmfesbhvtei provteron mhvpotæ a]n ejk th'" jAfrodivth" to;n Aijneivan genevsqai, nu'n dh; pisteusavtw. (TLG Beta Code:) W(/ST' EI) KAI/ TIS H)MFESBH/TEI PRO/TERON MH/POT' A)\N E)K TH=S *)AFRODI/THS TO\N *AI)NEI/AN GENE/SQAI, NU=N DH\ PISTEUSA/TW. Noch soteriologischer formuliert in 44,47,3 (s. u. Anm. 26). 7) J. Sabatier, Funérailles chez les Romains, Revue Belge 1868, p.369ff; M. Bernhart, Consecratio, Mitt. der Vorderasiatischen Gesellschaft (1916) p.136ff: F. Cumont L'Aigle funeraire d'Hiérapolis et l'apotheose des empereurs (Etudes Syriennes II, 35ff). G. Stählin, (font Graeca:) qrh'no", kopevto" (TLG Beta Code:) QRH=NOS, KOPETO/S in KW. 8) Vgl. Polybius 6,53; Plinius, Hist Nat 35,6ff. 9) Cf. Sueton Vesp 19: Sed et in funere Favor archimimus Personam eius ferens imitansque, ut est mos, facta ac dicta vivi
10) Appian 2,146,611: (font Graeca:) kaiv pou tw'n qrhvnwn aujto;" oJ Kai'sar ejdovkei levgein, o{sou" eu\ poihvseie tw'n ejcqrw'n ejx ojnovmato", kai; peri; tw'n sfagevwn aujtw'n ejpevlegen w{sper ejn qauvmati: (TLG Beta Code:) KAI/ POU TW=N QRH/NWN AU)TO\S O( *KAI=SAR E)DO/KEI LE/GEIN, O(/SOUS EU)= POIH/SEIE TW=N E)XQRW=N E)C O)NO/MATOS, KAI\ PERI\ TW=N SFAGE/WN AU)TW=N E)PE/LEGEN W(/SPER E)N QAU/MATI: Appian bringt dieses Stück erst in der Schlußlitanei, Sueton am Anfang, im Rahmen der Ludi, von denen Appian garnichts sagt. Ich folge Sueton. 11) Sueton 84: Men servasse ut essent, qui me Perderent. Vgl. Appian 2,146,611: (font Graeca:) Æejme; de; kai; touvsde perisw'sai tou;" ktenou'ntav" me,Æ (TLG Beta Code:) "E)ME\ DE\ KAI\ TOU/SDE PERISW=SAI TOU\S KTENOU=NTA/S ME," Der Vers stammt aus dem Trauerspiel Armorum ludicium des Tragikers Marcus Pacuvins (geb. 220 ante): s. O. Ribbeck, Tragicorum Romanorum Fragmenta I (1897) p. 93, Fragment XV. (Eine Neuausgabe der Sammlung steht bevor, wird aber für unser Problem nichts Neues bringen). Das Rettungsmotiv spielt in der Propaganda des späten Caesar eine große Rolle, s. Stauffer, Zur Amnestiepolitik Julius Caesars, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 2 (1951) S. 339ff; 3 (1952) S. 494f. Ein Nachklang der Improperien vom März 44 findet sich z. B. in der Rede Ciceros vom Oktober 44: illum interfecerunt, quo erant conservati (Phil 2,3,5). 12) Cf. O. Ribbeck, Die römische Tragödie im Zeitalter der Republik (1875) p. 610. 13) Ribbeck (Röm. Tragödie p. 609) denkt mit Lange an die Elektraworte 245 bis 249 (= Hartung 237 bis 241) nicht ganz überzeugend. 14) Soph El 839ff. Dieser Vers lag um so näher, als er genau zur Osirisliturgie stimmte. Daß der verklärte Caesar in der öffentl. Meinung Roms spätestens seit Erscheinen des Sidus Julium als Segenssottheit galt, wissen wir z. B. aus Virgil Buc 9,47ff. 15) 792: cf. 459 f. 16) El 1419/21: (font Graeca:) Telou'sæ ajraiv: zw'sin oiJ ga'" uJpai; keivmenoi: palivrruton ga;r ai|mæ uJpexairou'si tw'n ktanovntwn oiJ pavlai qanovnte". (TLG Beta Code:) *TELOU=S' A)RAI/: ZW=SIN OI( GA=S U(PAI\ KEI/MENOI: PALI/RRUTON GA\R AI(=M' U(PECAIROU=SI TW=N KTANO/NTWN OI( PA/LAI QANO/NTES. Im gleichen Sinne hat sich offenbar auch Augustus um 25 a. C. in seiner Selbstbiographie geäußert. Denn von daher dürfte Nikolaus Damascenus den Satz haben, den er in seiner Augustusvita verwendet: (font Graeca:) polu;n ou\n povnon parevxein Kaivsara kai; ajpolwlovta toi'" te sfageu'si kai; th'i touvtwn eJtaireivai (TLG Beta Code:) POLU\N OU)=N PO/NON PARECEIN *KAI/SARA KAI\ A)POLWLO/TA TOI=S TE SFAGEU=SI KAI\ TH=I TOU/TWN E(TAIREI/AI (Jacoby 11 A Fr. 130, P. 412). Auch an die berühmten Eingangsworte des Monumentum Ancyranum (ed. Mommsen p. 2f) darf man erinnern, bzw. an Sueton Julius 88f. 17) El 33f. Das Motiv des rächenden Sohnes ist das Leitmotiv des ganzen Dramas, s. El 69f; 811: 939 und vor allem 14: (font Graeca:) patri; timwro;n fovnou. (TLG Beta Code:) PATRI\ TIMWRO\N FO/NOU. Cf. Caesaris ultor bei Horaz Oden 1,2. Tatsächlich hat Octavianus das ganze weltpolitische Werk seiner Anfangsjahre als Rachewerk an den Caesarmördern deklariert. Daß die Divi sich an ihren Feinden rächen, ist ein Glaubenssatz, der noch aus flavischer Zeit bezeugt ist, s. Dio Cassius 66,19. Aber auch die ältesten Improperien münden in Gerichtsworte aus, s. 4 Esra 1,32ff. 18) Sueton 84: Antonius per praeconem pronuntiavit senatus consultum, quo omnia simul ei divina atque humana decreverat. Appian 2, 144, 601: (Font Graeca:) oi|" mavlista aujto;n ejn tw'/ yhfivsmati ejxeqeivazon, iJero;n kai; a[sulon h] patevra patrivdo" h] eujergevthn h] prostavthn oi|on oujc e{teron ojnomavzonte". (TLG Beta Code:) OI(=S MA/LISTA AU)TO\N E)N TW=| YHFI/SMATI E)CEQEI/AZON, I(ERO\N KAI\ A)/SULON H)\ PATE/RA PATRI/DOS H)\ EU)ERGE/THN H)\ PROSTA/THN OI(=ON OU)X E(/TERON O)NOMA/ZONTES. Daß Antonius selbst die Akten verlesen habe, ist «romanhafte» Ausschmückung Appians, s. E. Schwartz, PRE II S. 230. 19) Appian 2,145,604. 20) Sueton 84; Appian 2,144, 602: (Font Graeca:) ejpefqevggeto dev pouv ti kai; bracu; eJkavstw/, memigmevnon oi[ktw/ kai; ajganakthvsei, e[nqa me;n to; yhvfisma ei[poi Æpatevra patrivdo",Æ ejpilevgwn: Ætou'to ejpieikeiva" ejsti; marturiva,Æ (TLG Beta Code:) E)PEFQE/GGETO DE/ POU/ TI KAI\ BRAXU\ E(KA/STW|, MEMIGME/NON OI)/KTW| KAI\ A)GANAKTH/SEI, E)/NQA ME\N TO\ YH/FISMA EI)/POI "3PATE/RA PATRI/DOS,"3 E)PILE/GWN: "TOU=TO E)PIEIKEI/AS E)STI\ MARTURI/A," 21) Appian 2,144,601.610.612. Dio Cassius 44,49,1f. 22) Appian 2,145,605: (Font Graeca:) Æe[oiken, w\ poli'tai, ta; gegenhmevna ajndrw'n me;n oujdenov", ajllav tou daimovnwn e[rga ei\nai. (TLG Beta Code:) "E)/OIKEN, W)= POLI=TAI, TA\ GEGENHME/NA A)NDRW=N ME\N OU)DENO/S, A)LLA/ TOU DAIMO/NWN E)/RGA EI)=NAI. (cf. 1 Kor 2,8!). 23) s. Sueton, Julius 84 über Antonius: quibus pernauca a se verba addidit! 24) Dio 44,37,4. 25) Dio 44,47,1. 26) Dio 44,47,3ff: (Font Graeca:) ou{tw ga;r ejk qew'n o[ntw" e[fu w{ste e}n movnon hjpivstato, swvzein touv" ge swvzesqai dunamevnou":
tou'to gavr ejsti paradoxovtaton kai; mhdemivan uJperbolh;n e[con, o{ti te ajfeivqhsan pri;n aijtiaqh'nai kai; o{ti ejswvqhsan pri;n kinduneu'sai, kai; oujdæ aujto;" oJ peripoihvsa" sfa'" e[maqen ou}" hjlevhse. (TLG Beta Code:) OU(/TW GA\R E)K QEW=N O)/NTWS E)/FU W(/STE E(\N MO/NON H)PI/STATO, SW/ZEIN TOU/S GE SW/ZESQAI DUNAME/NOUS:
TOU=TO GA/R E)STI PARADOCO/TATON KAI\ MHDEMI/AN U(PERBOLH\N E)/XON, O(/TI TE A)FEI/QHSAN PRI\N AI)TIAQH=NAI KAI\ O(/TI E)SW/QHSAN PRI\N KINDUNEU=SAI, KAI\ OU)D' AU)TO\S O( PERIPOIH/SAS SFA=S E)/MAQEN OU(\S H)LE/HSE. 27) Dio 44,49,1ff. 28) Appian 2,144,606. Von diesem dritten Teile der Trauerfeier sagt Sueton nichts. 29) Appian 2,146,607: (Font Graeca:) wJ" qeo;n oujravnion u{mnei kai; ej" pivstin qeou' genevsew" ta;" cei'ra" ajnevteinen. (TLG Beta Code:) W(S QEO\N OU)RA/NION U(/MNEI KAI\ E)S PI/STIN QEOU= GENE/SEWS TA\S XEI=RAS A)NE/TEINEN. 30) Appian 2,146,609: (Font Graeca:) wJ" fivlon a[dika paqovnta wjduvreto kai; e[klaie. (TLG Beta Code:) W(S FI/LON A)/DIKA PAQO/NTA W)DU/RETO KAI\ E)/KLAIE. 31) Appian 2,146,609: (Font Graeca:) ejpi; toi'" lovgoi" e{teroi qrh'noi meta; wj/dh'" kata; pavtrion e[qo" uJpo; corw'n ej" aujto;n h[/donto kai; ta; e[rga au\qi" aujtou' kai; to; pavqo" katevlegon. (TLG Beta Code:) E)PI\ TOI=S LO/GOIS E(/TEROI QRH=NOI META\ W)|DH=S KATA\ PA/TRION E)/QOS U(PO\ XORW=N E)S AU)TO\N H)/|DONTO KAI\ TA\ E)/RGA AU)=QIS AU)TOU= KAI\ TO\ PA/QOS KATE/LEGON. 32) Sueton 84. Vgl. die anatolische Sandonliturde und die Vorgänge bei der konsekratorischen Verbrennung des Krösus (Bakchylides, Herodot, Xanthos, Nik. Damascenus). 33) Cicero, Ad Atticum 14,22,1. 34) Sueton, Julius 84. Zum Patristischen Caesarbild s. Orosius, Hist 6,17,1: «Julius Caesar ging unter bei dem Versuch, die politische Welt entgegen dem Beispiel seiner Vorgänger im Geiste der Clementia neu aufzubauen.» 35) Mon Anc 2,21; Dio 51,20,1; Dazu R. Civilli, Les Prêtres danseurs de Rome (Paris 1913) p.177 u. ö. Schon daran scheitert die alte, jetzt wieder von W. Foerster (Neutest. Zeitgeschichte II, 1956, S. 55ff) vorgetragene These, die frühen römischen Kaiser hätten im Westen erst nach ihrem Tode offizielle göttliche Ehrungen empfangen. Das gilt von der Konsekration (an die in Tacitus Ann 15,74 gedacht ist), nicht aber von der metaphysischen Glorifikation des lebenden Kaisers durch hochamtliche Senatsbeschlüsse, Festakte, Reichsmünzen etc. etc. Vgl. Stauffer, Le Christ et les Césars (Paris 1956) p. 60ff; 89ff; 106 (Tacitus Ann 1,10!) u.a.m. Im übrigen aber spielen nicht die westlichen, sondern die östlichen Formen und Formeln der Kaisermetaphysik in dem Ideenkampf zwischen Jerusalem und Rom die entscheidende Rolle. 36) s. F. Jacoby, FGrHist 2 A (1926) p. 391ff: dazu C (1926) p. 261ff. Beachte die Themaangabe in 19,58: (Font Graeca:) e[rga polevmou kai; eijrhvnh". (TLG Beta Code:) E)/RGA POLE/MOU KAI\ EI)RH/NHS. 37) OGIS Nr. 458. Die entscheidenden Worte lauten: (Font Graeca:) h[rxen de; tw'i kovsmwi tw'n diæ aujto;n eujangelivªwn hJ genevqlio" hJmevºra tou' qeou', (TLG Beta Code:) H)/RCEN DE\ TW=I KO/SMWI TW=N DI' AU)TO\N EU)ANGELI/[WN H( GENE/QLIOS H(ME/]RA TOU= QEOU=. Zu unserer Übersetzung «Evangelienfeste» vgl. den Schloß der Inschrift (Hinweis auf die Festproklamationen der Kaiserspiele) und Jos Bell 4, 10, 6, 618 zur Machtergreifung Vespasians: (Font Graeca:) dihvggellon aiJ fh'mai to;n ejpi; th'" ajnatolh'" aujtokravtora, kai; pa'sa me;n povli" eJwvrtazen eujaggevlia ªde;º kai; qusiva" uJpe;r aujtou' ejpetevlei. (TLG Beta Code:) DIH/GGELLON AI( FH=MAI TO\N E)PI\ TH=S A)NATOLH=S AU)TOKRA/TORA, KAI\ PA=SA ME\N PO/LIS E(W/RTAZEN EU)AGGE/LIA [DE\] KAI\ QUSI/AS U(PE\R AU)TOU= E)PETE/LEI. 38) Cagnat, Inscriptiones Graecae I (1911) p. 446: vgl. M. Letronne, Recueil des Inscriptions
de l'Égypte 11 (1848) p.141 ff. 39) Zur Analyse s. W. Weber, Princeps (1936) S. 97f und Webers Anmerkungen Nr. 436 (S. 104*) und Nr. 680 (S. 260*ff). Als monotheistischer Beitrag zur römischen Kaiseraretalogie ist der Philonhymnus m. W. bisher noch nicht behandelt worden. 40) Jos Bell 7, 4, 1. Die entscheidenden Formeln lauten im griechischen Text: (Font Graeca:) swthriva, swvzein, hJmerovth", th'" ejnteuvxew", meilivcion th'" o[yew", to;n eujergevthn kai; swth'ra kai; movnon a[xion hJgemovna ajnakalou'nte". (TLG Beta Code:) SWTHPI/A, SW/ZEIN, H(MERO/THS, TH=S E)NTEU/CEWS, MEILI/XION TH=S O)/YEWS, TO\N EU)ERGE/THN KAI\ SWTH=RA KAI\ MO/NON A)/CION H(GEMO/NA A)NAKALOU=NTES: 41) Mechiltha zu Ex 15,1. Vgl. ferner die rabbinischen Adventsberichte bei. J. Ziegler, Die Königssleichnisse des Midrasch (1903) S. 40 u. ö.; Monumenta Talmudica 5, Sam. Krauss, Geschichte (1914) S. 102ff. ____________ F.C.: Kurzkommentar zu Stauffers Position Stauffer hält eine eigenständige historische Existenz Jesu aufrecht, wie von ihm nicht anders zu erwarten nicht zufällig hat er sein «Christus und die Caesaren» den Fratribus Peregrinantibus gewidmet (s.o., unter /Clementia Caesaris). Allerdings ist seine Position nicht logisch begründet, sondern von seinem Glauben diktiert. Man sieht nämlich sofort, daß ein vom Divus Julius zu sondernde Jesus von den Fakten, die er selbst anführt, nicht verlangt, ja überflüssig gemacht wird. Er zeigt sehr wohl, daß eine Abnutzung der Adventsmetaphysik stattfindet, wie man sich vom Reichsgründer Caesar entfernt und sich den Parodien der Epigonen, eines Neros oder Domitians, nähert. Aber warum soll das, was Martial vom erwarteten Kind der Kaiserin schreibt, «Blasphemie» sein, während die Verse seines Lehrmeisters Virgil über ein früheres Kind im Kaiserhaus noch «Prophetie» waren? Es ist die Abnutzung der Dynastie, der Unterschied zwischen dem göttlichen Reichsgründer und den allzumenschlichen Nachkommen. Dies hat Stauffer selbst auch im eingangs hervorgehobenen Unterschied zwischen Alexander und Antiochus festgestellt. Man sieht dann sofort, wonach sich die Menschen sehnten, als sie abermals sich gerade des letzten verkommenen Sprößlings einer Dynastie entledigt hatten: Sie wollten zurück zum Gründer, zum Creator. Die Abschaffung des Kaiserkults und die Einführung des Christentums brachte eigentlich nur die eine Veränderung: Während vorher die guten Kaiser nach dem Tod zu Göttern gemacht wurden womit der Streit vorprogrammiert war, so daß gerade die schlechten mangels Hoffnung sich schon zu Lebzeiten als Götter verherrlichen ließen , sollten sie danach immer nur Menschen bleiben was natürlich bloß bewirkte, daß sie dafür zu Heiligen gemacht wurden, von Konstantin und seiner Mutter Helena ausgehend, über Theodosius, Karl den Großen bis zu Ludwig dem Neunten, und wer noch kam und kommen wird. Die einigen vorsichtigen Zitate aus jüdischer Feder oder Milieu, die Stauffer anführt, zeigen, daß auch die Juden auf dieselbe Trommel schlugen, und keine prinzipiellen Hemmungen hatten, dem Kaiser und Gott das zu geben, was sein war (wobei sie freilich ein zusätzliches Kriterium anwendeten, welcher nun der gute und welche der schlechte Herrscher war: Ob er sie von der Steuer befreite oder wie alle anderen zur Kasse bat. Ihnen war auch, wie jedem, einfach das Hemd näher als der Rock). Im übrigen war dies nichts Neues. Schon in der Septuaginta wird mit «theòs» einfach den Herrscher bezeichnet, den hellenistischen oder den Pharao (u.a. Ex 22.8 u. 28, Ps 82.2.6). Insofern läßt sich da überhaupt keine Opposition zwischen unreinem und reinem, zwischen staatsimmanentem und -transzendentem Monotheismus aufbauen. Und wenn es stimmt, daß bei der Vergottung Caesars und seiner Nachfolger der Osten den Anfang machte (zuerst die Provinz Asien, von Ephesos ausgehend), so ist es nicht so, daß die Juden sich dem entgegengestellt hätten. Was man vielmehr erlebte, war, daß die Nationalisten unter ihnen versuchten, den Messiasgedanken für ihre Rebellen (bzw. Nationalhelden, wie man es sehen will) zu beanspruchen das letzte o.g. Zitat kommt aus der Ecke. Aber nicht alle Juden machten da mit: Der oben ebenfalls zitierte Flavius Josephus erklärte stattdessen offiziell seinen Besieger (und späteren Namensgeber) Flavius Vespasianus zum erwarteten Messias auf griechisch: zum Christus. Und der hatte das Sagen, nicht der aufständische untergegangene Simon bar Joras. Mit Hadrian und Bar Kochba wiederholte sich die Geschichte nur. Daher ist der Rest dieses Buches von Ethelbert Stauffer schwächer als der umwerfende, ja aufwühlerische Anfang. Jerusalem als Gegenpol zu Rom aufzubauen gelingt nicht. Vielmehr sieht man gut das Jerusalem des Herodes als kleines Rom, als dessen Kopie im Orient. Man muß sich daher wundern, daß Stauffer nicht gesehen hat, daß Jesus lediglich das orientalische spiegelverkehrte Bild des Divus Julius ist. Dessen Ikone, so wie der Orient sie widerspiegelte. Des Caesars neue Kleider, in der Tat: Des Divus Julius Fata Morgana. |